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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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letztlich nicht mehr als zwölf Monate des Vergnügens und Wohllebens eingebracht. – Mein Baby kam zur Welt, und die Krise, die so verhängnis­voll für meine Mutter gewesen war, tauchte drohend vor mir auf. Nach meiner Genesung war ich reizbarer, ­weniger bereit, den harten Lebenskampf auszufechten, und mehr geneigt, mich über Armut und Vernachlässigung zu beklagen. – Eines Tages beklagte ich mich laut und bitterlich. Ich hielt George Talboys seine Grausamkeit vor, ein hilfloses Mädchen der Armut und dem Elend ausgesetzt zu haben. Er geriet in Wut und lief aus dem Haus. – Als ich am nächsten Morgen erwachte, fand ich einen Brief auf dem Tisch neben meinem Bett vor, in dem stand, dass er zu den Antipoden reisen wolle, um dort sein Glück zu ver­suchen. Ich betrachtete das als böswilliges Im-Stich-Lassen und nahm es ihm sehr übel. Ich begann den Mann zu hassen, der mich ohne Schutz mit einem betrunkenen Vater und einem Baby im Stich gelassen hatte.“
    Sie schwieg einen Moment, während sie ihre Hände betrachtete. Dann fuhr sie fort. „Ich musste hart für ­meinen Lebensunterhalt arbeiten, und in jeder Stunde, die ich arbeitete, sah ich ein zusätzliches Unrecht, das mir George Talboys angetan hatte. Sein Vater war reich, seine Schwester lebte im Überfluss, und ich, seine Frau und die ­Mutter seines Sohnes, war nichts anderes als eine Sklavin. Für immer zu Bettelarmut und einem Leben im Schatten ­verurteilt! – Ich liebte das Kind nicht. Ich schrie und wütete und merkte, dass mein Verstand sein Gleichgewicht verlor. Ich überschritt die unsichtbare Grenzlinie, die Vernunft von Wahnsinn trennt. Diese verzweifelten Gefühlsausbrüche mündeten schließlich in einem ­Entschluss. Ich beschloss davonzulaufen und entschied, nach London zu gehen und mich im großen Chaos der Menschheit zu verlieren. – Ich bewarb mich auf ein Inserat in einer Schule. Man ­akzeptierte mich und verzichtete auf Fragen nach meinem Vorleben. Den Rest kennen Sie, Sir. Ich kam hierher und Sie machten mir einen Antrag.“
    Kurz blickte sie auf, doch unter dem unsäglich gequälten Blick Sir Michaels senkte sie ihren Kopf wieder. „Schon damals warnte ich Sie, doch Sie wollten nicht hören. Ich sagte mir, dass ich wohl berechtigt sei, anzunehmen. Mein erster Mann war fort, wahrscheinlich bereits tot. Und so wurde ich Ihre Frau, Sir Michael. – In der Stunde des ersten Triumphes und angesichts der Großartigkeit meiner neuen Stellung war ich sehr glücklich und der Hand zutiefst dankbar, die mich so hoch erhoben hatte. – Heimlich schickte ich meinem Vater Geldbeträge. Ich machte von dem Privileg, das Ihre Großzügigkeit mir ermöglicht hatte, ausgiebig Gebrauch. Ich verteilte Glück nach allen Seiten. Und ich bin überzeugt, ich hätte bis zum Ende meines Lebens eine gute Frau sein können, wenn das Schicksal es mir erlaubt hätte. – Das Schicksal erlaubte es mir nicht, gut zu sein. Meine Bestimmung zwang mich dazu, ein nichtswürdiges Wesen zu sein. Eines Tages las ich in einer Zeitung von der Rückkehr eines gewissen Mr Talboys, eines erfolgreichen Goldgräbers, aus Australien. Sein Schiff war zu dem Zeitpunkt, da ich die Meldung las, bereits in See gestochen. Was war zu tun? Ich wusste, dass der Mann bei seinen Bemühungen, mich wiederzufinden, nichts unversucht lassen würde. Es war aussichtslos, ­darauf zu hoffen, ich könne mich vor ihm ­verstecken. Ich reiste nach Southampton und vertraute mich ­meinem Vater an. Er wollte mir helfen, jedoch weniger um seiner Tochter als um des Geldes willen, welches ihm regel­mäßig zugeschickt wurde. – Wir entschlossen uns sogleich zu einer Todes­anzeige in der Times. Ich kannte Georges ­Temperament, seine Entschlossenheit und seine Neigung, entgegen aller Hoffnung zu hoffen. Er würde der Anzeige erst dann ­Glauben ­schenken, wenn er das Grab seiner Frau gesehen hatte. Da kam mir der Zufall zu Hilfe. Mrs Plowson, die Frau, die sich um mein Kind zu kümmern hatte, hatte eine kranke Tochter, Mathilda. Sie hatte die Schwindsucht. Mrs Plowson sagte mir, der ­Doktor meine, es ginge mit dem Mädchen zu Ende. Sie jammerte, welch harte Sache dies für eine arme Witwe sei, die schon bessere Tage gesehen habe. Sie erzählte mir von den Beschwerden des ­Mädchens, ­seinen Arzneien und seinem Alter, sie sprach von Pietät und vielem mehr. Ich stellte ihr ­Fragen über das Mädchen und erfuhr, dass es etwa in meinem Alter war und helles Haar hatte. Der Doktor hätte

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