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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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gern getan. Sie würde alles eher ertragen haben als diese sich so lange hinziehenden Minuten und Stunden, diese zerfressende Angst.
    Alicia unterdes fand ein gewisses boshaftes ­Vergnügen an dem Gedanken, dass sie sich ihrerseits vermutlich erkälten würde und ihr Cousin Robert sich für diese Gefährdung verantwortlich fühlen musste. Vielleicht würde Robert sich etwas aus mir machen, wenn ich eine Lungenentzündung hätte, dachte sie.
    Ich glaube, sie malte sich ein Bild aus, wie sie im ­letzten Stadium der Schwindsucht lag. Gestützt von Kissen in einem großen Lehnstuhl sitzend, aus dem Fenster in den nachmittäglichen Sonnenschein blickend, mit Arznei­flaschen, Weintrauben und einer Bibel auf einem Tisch an ihrer Seite. Robert, ein Bild der Zerknirschung und der Zärtlichkeit, herbeigerufen, um zum Abschied ihren Segen zu empfangen. Dergestalt in sentimentaler Weise ­beschäftigt, nahm Miss Audley natürlich kaum Notiz von ihrer Stiefmutter. Und der nervöse Zustand von Mylady entging ihr vollkommen, während der Zeiger der ­dummen Uhr auf die Sechs weiterwanderte.
    „Du meine Güte!“, rief Alicia plötzlich. „Sechs Uhr und ich bin noch nicht umgekleidet.“ Während ihrer Worte schlug die Glocke in der Kuppel auf dem Dach die volle Stunde. „Ich muss hineingehen, Mylady“, sagte sie. „­Wollen Sie nicht mitkommen?“
    „Später“, antwortete Lady Audley. „Ich bin bereits ­angezogen, wie Sie sehen.“
    Alicia lief davon. Sir Michaels Frau jedoch verweilte im Hof und harrte noch immer der Nachricht. Es war schon fast dunkel. Die flachen Weiden waren von grauem Dunst erfüllt, der als blauer Abendnebel langsam vom Erdboden aufstieg.
    Endlich hörte sie Schritte in der Allee auf der anderen Seite des Torbogens. Es war kein schlurfender, schwer­fälliger Fußgänger mit nägelbeschlagenen Stiefeln, ­sondern ein Gentleman, der mit festen, federnden ­Schritten daherkam.
    Mylady konnte nicht mehr warten. Sie verlor die Fähigkeit der Selbstbeherrschungund stürzte zum Tor­bogen. Im Schatten des Gemäuers hielt sie inne. Dann sah sie ihn im dämmrigen Abendlichtauf den Tor­bogen zuschreiten. Ihr schwindelte. Das Herz stockte. Sie ­taumelte zurück, presste ihre schlanke Gestalt in einen Winkel des Mauerwerks und starrte den Überbringer der Nachrichtan. Kauernd in die Kälte des Gemäuers gedrückt, trachtete sie danach, im Schatten des schützenden Mauerwerks ihr Grab zu finden.

3. Kapitel

    R obert Audley, der Mann, den Mylady glaubte, den Flammen überantwortet zu haben, führte die verstörte Frau in die Halle von Audley Court. Sie ­zitterte heftig, als er die Tür zur Bibliothek aufstieß und sie hineinführte. Ohne Widerstand begab sich Mylady zum Kamin, wo sie sich auf ihre Knie fallen ließ.
    „Lady Audley“, sagte er, und seine Stimme klang kalt. „Ich habe gestern Abend sehr offen mit Ihnen gesprochen, doch Sie haben es abgelehnt, auf mich zu hören. Heute Abend nun muss ich Sie einer schändlichen Tat beschuldigen, die über alles Denkbare hinausgeht.“
    Das Gesicht in den Händen vergraben, kauerte Mylady vor dem Feuer. Sie gab einen leisen, schluchzenden Laut von sich, der beinahe wie ein Stöhnen klang, doch sie sagte nichts.
    „Vergangene Nacht brach in Mount Stanning ein Feuer aus. Das Castle Inn brannte völlig nieder. Ich ­entkam nur durch den äußerst gnädigen Umstand, dass ich nicht in dem Zimmer geschlafen habe, das für mich ­vorbereitet worden war, da der Kamin dort entsetzlich qualmte. Ich schlief auf dem Sofa im Erdgeschoß.“ Er schwieg einen Moment und betrachtete die kauernde Gestalt. Die ­einzige Veränderung in Myladys Haltung bestand darin, dass ihr Kopf noch etwas tiefer gesunken war. „Mylady“, rief Robert plötzlich mit zitternder Stimme. „Sie waren die Brand­stifterin! Sie waren es, die glaubte, sich Ihres ­Anklägers durch diese zutiefst abscheuliche Tat entledigen zu ­können. Was machte es Ihnen schon aus, dass auch weitere Leben geopfert würden? – Die Zeit für Milde ist vorüber, Mylady. Gäbe es ein Tribunal, vor dem Sie sich für Ihre ­Verbrechen verantworten müssten, hätte ich wenig Skrupel, als Ihr Ankläger aufzutreten. Doch Ihre Verruchtheit fiele auf meinen Onkel zurück, einen großherzigen Gentleman, dessen Namen Sie allein durch Ihre Existenz beschmutzen.“ Seine Stimme versagte ihm und er hatte Mühe, sich zu fassen. „Luke Marks erlitt schwere Verbrennungen und liegt in bedenklichem Zustand in der Hütte seiner

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