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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Kleides zu lösen. „Sie erscheinen ein wenig blass, Mylady“, sagte das Mädchen und blickte seine Herrin im Spiegel an. „Aber Sie sind so schön wie immer.“
    „Ich weiß, Phoebe“, erwiderte Mylady. Dann warf sie sich in einen Sessel und schüttelte ihre Locken zurück, so dass die Zofe, die mit der Bürste in der Hand bereit stand, das prächtige Haar für die Nacht frisieren konnte. „Weißt du, Phoebe, ich habe einige Leute sagen hören, dass du und ich einander ähnlich seien.“
    „Ich habe das auch gehört“, sagte das Mädchen, „aber diese Leute müssen sehr dumm sein, wenn sie so etwas behaupten, denn Sie, Mylady, sind eine wahre Schönheit, und ich bin nur eine unbedeutende, unscheinbare Person.“
    „Ganz und gar nicht, Phoebe“, entgegnete Mylady ­gnädig. „Du bist mir wirklich ähnlich, und deine Gesichtszüge sind auch sehr ansprechend. Es fehlt dir nur an Farbe. Mein Haar ist hellblond mit einem Goldton darin. Das deine ist gelblich grau. Meine Augenbrauen und ­Wimpern sind dunkelbraun. Deine dagegen sind fast weiß. Deine Gesichtsfarbe ist fahl, meine jedoch rosig und ­blühend. Wirklich, mit einer Flasche jener Haarfarbe, die in den ­Zeitungen angepriesen wurde, und ein wenig Rouge könntest du jederzeit so gut aussehen wie ich.“
    In dieser Art plauderte sie noch lange weiter, schwatzte über Hunderte nichtiger Dinge und machte sich zur ­Erheiterung ihrer Zofe über die Leute lustig, denen sie bei den Pferderennen begegnet war. Endlich schien sie ihre Zofe entlassen zu wollen, doch im letzten Moment rief sie das Mädchen ganz plötzlich wieder zu sich. „Phoebe“, sagte sie, „ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.“
    „Ja, Mylady.“
    „Ich möchte, dass du morgen früh mit dem ersten Zug nach London fährst, um eine kleine Besorgung für mich zu erledigen. Du bekommst außerdem fünf Pfund, wenn du genau tust, was ich dir sage, und die ganze Sache für dich behältst.“
    „Ja, Mylady.“
    „Setze dich dann auf diesen Schemel mir zu Füßen.“
    Das Mädchen tat, wie ihm geheißen. Mit ihrer weichen, weißen Hand, die mit zahlreichen Ringen geschmückt war, strich Lady Audley über das farblose Haar ihrer Zofe, während sie einige Zeit überlegte.

    Es war schon spät am folgenden Tag, als Lady Audley ­endlich zum Frühstück herunterkam.
    Während sie gerade ihren Kaffee in kleinen ­Schlucken zu sich nahm, brachte ihr ein Diener einen Brief. „Eine telegraphische Nachricht!“, rief sie aus, denn das ­zweckdienliche Wort „Telegramm“ war zu dieser Zeit noch nicht erfunden. „Was kann das nur sein?“
    Mit entsetzten Augen blickte sie zu ihrem Mann, schien beinahe Angst zu haben, die Depesche zu öffnen. Der Umschlag war an Miss Lucy Graham bei Mr Dawson adressiert. Man hatte ihn vom Dorf her weitergeleitet.
    „So lesen Sie schon die Nachricht, meine Liebste“, ­antwortete Sir Michael, „und regen Sie sich nicht auf. Es kann ja auch etwas ganz Unwichtiges sein.“
    Die telegraphische Nachricht stammte von einer Mrs Vincent, jener Schulleiterin, auf die sich Lucy beim Antritt ihrer Stellung in Mr Dawsons Familie berufen hatte. Diese Dame war erkrankt und beschwor ihren ehemaligen ­Zögling, sie aufzusuchen.
    „Die arme Seele! Sie hatte immer die Absicht, mir ihre Barschaft zu hinterlassen“, seufzte Lucy mit traurigem Lächeln. „Sie hat niemals von der Veränderung in ­meinen Lebensverhältnissen erfahren. Lieber Sir Michael, ich muss zu ihr.“
    „Aber natürlich müssen Sie zu ihr, meine Liebe. Da sie freundlich zu meinem Mädchen war, als es diesem schlecht erging, hat diese Dame umso mehr einen Anspruch auf einen Besuch, nun, da es Ihnen gut geht. Wir werden den Expresszug noch rechtzeitig erreichen.“
    „Sie wollen mit mir fahren?“
    „Natürlich, mein Liebling. Haben Sie etwa angenommen, ich ließe Sie allein gehen?“
    „Ich war mir sicher, dass Sie mich begleiten würden“, erwiderte sie gedämpft.
    Es blieb Lady Audley gerade noch Zeit, schnell ihre Haube aufzusetzen und hastig das Umschlagetuch umzulegen, bevor sie auch schon die Kutsche vor der Eingangstür vorfahren hörte und Sir Michael vom Fuß der Treppe aus nach ihr rief. Trotz ihrer Eile blieb Mylady bei der Tür des Vorraums zu ihren Gemächern stehen und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss herum. Dann ließ sie ihn in ihre Tasche gleiten.

8. Kapitel

    S o wurde also das geplante Dinner in Audley Court verschoben, und Miss Alicia musste noch länger auf die

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