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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Robert, als die ­Kutsche anhielt. „Ich laufe schnell hinaus und begrüße ihn.“
    George zündete sich unterdessen eine weitere Zigarre an und betrachtete, hinter den Fenstervorhängen verborgen, die kleine Gesellschaft. Ein hübsches brünettes Mädchen saß mit dem Rücken zu den Pferden. George vermutete, es könnte Roberts Cousine Alicia sein. Lady Audley jedoch hatte auf der vom Gasthaus abgewandten Seite des ­Landauers Platz genommen, und so war es ihm nicht ­möglich, etwas von diesem blondhaarigen Wesen zu sehen, von dem er schon so viel gehört hatte.
    „Wahrhaftig, Robert!“, staunte Sir Michael, als sein Neffe so unvermutet zu ihm trat. „Das ist eine Überraschung!“
    „Ich bin nicht gekommen, um Sie im Court zu behelligen, mein lieber Onkel“, sagte der junge Mann, während der Baron ihm die Hand schüttelte. „Um diese Zeit des Jahres verspüre ich immer einen Anflug von Heimweh. ­Deshalb sind George und ich hier in diesem Gasthaus abgestiegen, um zwei oder drei Tage beim Fischen zu ­verbringen.“
    „Was! Ist er da?“, rief Alicia. „Das freut mich, denn ich bin ganz wild darauf, diesen gutaussehenden jungen ­Witwer kennenzulernen.“
    „Tatsächlich, Alicia?“, lachte ihr Cousin. „Dann, ­meiner Treu, werde ich hineingehen, ihn holen und dich ihm unverzüglich vorstellen.“
    Nun war der Einfluss, den Lady Audley über ihren ­ergebenen Gatten gewonnen hatte, so uneingeschränkt, dass es kaum einmal vorkam, dass sich die Augen des Barons für längere Zeit von dem lieblichen Gesicht ­seiner Ehefrau lösten. Als Robert sich gerade anschickte, das Wirtshaus wieder zu betreten, bedurfte es daher nur eines leichten Hebens ihrer Augenbraue und eines reizenden Ausdrucks des Verdrusses, um Sir Michael verstehen zu geben, dass sie nicht mit der Vorstellung von Mr George Talboys gelangweilt werden wolle.
    „Lass es für heute Abend gut sein, Bob“, meinte Sir Michael deshalb. „Meine Frau ist nach den ­Vergnügungen dieses langen Tages ein wenig müde. Komm doch mit ­deinem Freund morgen zum Dinner, dann können er und Alicia Bekanntschaft schließen. Geh hinüber und sprich ein Wort mit Lady Audley, danach wollen wir nach Hause weiterfahren.“
    Mylady war jedoch so entsetzlich erschöpft, dass sie nur ihrem Neffen liebenswürdig lächelnd eine kleine, behandschuhte Hand entgegenstrecken konnte. Sie war die Hauptattraktion auf der Rennbahn gewesen und schien nun durch die Anstrengung, die es sie gekostet hatte, die halbe Grafschaft in ihren Bann zu ziehen, völlig ermattet zu sein.
    „Ich vermute, du bist ebenso hingerissen von ihr wie alle anderen“, flüsterte die junge Dame bissig.
    „Sie ist in der Tat ein hinreißendes Wesen“, murmelte Robert mit Bewunderung in der Stimme.
    „Oh, natürlich! Sie ist immerhin die erste Frau, über die ich dich jemals ein höfliches Wort habe verlieren hören, Robert Audley.“ Die arme Alicia hatte bei ihrem Cousin noch nie einen Funken von Begeisterung für irgendeine Sache oder Person bemerkt.
    Dieses eine Mal in seinem Leben war Robert jedoch beinahe enthusiastisch. „Sie ist das entzückendste kleine Wesen, das du jemals gesehen hast, George!“, rief er, als er zu seinem Freund ins Gastzimmer zurückgekehrt war. „So blaue Augen, solche Locken, so ein bestrickendes Wesen. George Talboys, ich fühle mich wie der Held in einem französischen Roman. Ich bin dabei, mich in meine Tante zu verlieben.“
    Der Witwer seufzte nur und blies den Zigarrenrauch heftig aus dem offenen Fenster. Vielleicht dachte er an jene ferne Zeit, kaum länger als fünf Jahre war es erst her, als er zum ersten Mal seiner Frau begegnet war, für die er bis vor drei Tagen einen Trauerflor am Hut getragen hatte. Sie kamen nun wieder zurück, all die alten unvergessenen Gefühle. Stumme Tränen fielen auf seine Weste, als er sich im stillen und allmählich dunkler werdenden Gastraum an seine Helen erinnerte.

    Lady Audley unterdes fühlte sich so erschöpft, als sie zu Hause ankam, dass sie sich beim Dinner entschuldigen ließ und sich sogleich, begleitet von ihrer Zofe, in ihr Ankleidezimmer zurückzog.
    In ihrem Verhalten zu diesem Mädchen war Mylady mitunter launisch, manchmal auch sehr vertraulich, dann aber wieder reserviert. Doch sie war eine äußerst großzügige Herrin, und das Mädchen hatte allen Grund, mit ­seiner Stellung zufrieden zu sein. Phoebe hatte die Kerzen auf beiden Seiten des Spiegels angezündet und half nun Mylady, die Bänder ihres

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