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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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gedenke.“
    „Sie sind so gütig, Mylady“, erwiderte Phoebe mit einem Seufzer und sank zu Füßen ihrer Herrin.

    Beim Schein des Kaminfeuers, umhüllt vom warmen Licht der Wachskerzen, saß Mylady im luxuriösen Salon. Die bernsteinfarbenen Damastkissen auf dem Sofa hoben sich gegen ihr dunkelviolettes Samtkleid ab. Ihr lockiges Haar umwogte ihren Hals wie eine goldene Nebelwolke. Alles in diesem Raum zeugte von Reichtum und Überfluss.
    In seltsamem Gegensatz zu dieser Umgebung und Myladys eigener Schönheit stand der ungeschlachte Stallknecht mitten im Raum. Er kratzte sich seinen runden Schädel, während Mylady ihm darlegte, was sie für ihre Kammerzofe zu tun beabsichtige. Lucys Zusagen waren sehr großzügig. Und so hatte sie eigentlich erwartet, dass dieser Mann trotz seines rohen und derben Wesens seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen würde. Zu ihrer Überraschung aber stand er nur da, starrte auf den Boden und sagte kein einziges Wort zu ihrem Angebot.
    Phoebe schien über sein rüdes Verhalten betroffen. „Sag doch Mylady, wie dankbar du bist, Luke“, forderte sie ihn auf.
    „Aber ich bin überhaupt nicht dankbar“, entgegnete ihr Liebster grob. „Fünfzig Pfund sind nicht viel, um ein Wirtshaus aufzumachen. Sie müssen schon hundert draus machen, Mylady.“
    „Ich werde nichts Derartiges tun“, erklärte Lady ­Audley, und ihre Augen funkelten vor Entrüstung. „Ich bin erstaunt über deine Unverschämtheit, so etwas zu verlangen.“
    „Aber ja, Sie werden es doch tun“, antwortete Luke mit gelassener Dreistigkeit, die eine unterschwellige ­Bedeutung zu haben schien. „Sie werden schon hundert draus machen, Mylady.“
    Lady Audley erhob sich vom Sofa und sah dem Mann ins Gesicht, bis sich sein entschlossener Blick unter dem ihren senkte. Dann ging sie geradewegs zu ihrer Zofe und rief mit jener hohen, schrillen Stimme: „Phoebe, du hast es diesem Mann erzählt!“
    Das Mädchen fiel vor Myladys Füßen auf die Knie. „Oh, vergeben Sie mir, vergeben Sie mir“, stieß es hervor. „Er hat es aus mir herausgepresst. Ich hätte es sonst niemals, niemals erzählt.“

15. Kapitel

    E s war ein düsterer Morgen spät im November. Der Nebel hing tief über den Weiden in der Niederung. Die Rinder suchten sich blind ihren Weg durch die trübe Dunkelheit. Im ungewissen Licht stand ­schmutzig braun die Dorfkirche. Jeder gewundene Pfad, jede Hüttentür, jeder graue, alte Kamin auf den Giebeln, jedes Kind aus dem Dorf und jeder streunende Köter – alles wirkte seltsam und geisterhaft in diesem Halbdunkel. An diesem Morgen nun bahnten sich Phoebe und ihr Cousin Luke einen Weg über den Friedhof von Audley und erschienen vor dem fröstelnden Hilfsgeistlichen, dessen Chorhemd, vom Morgennebel getränkt, in feuchten Falten herunterhing und dessen Laune sich durch das fünf­minütige Warten auf die Braut und den Bräutigam nicht gerade gebessert hatte.
    In seinem schlecht sitzenden Sonntagsanzug wirkte Luke Marks keineswegs ansehnlicher als in seinen ­Alltagskleidern.
    Phoebe jedoch war in raschelnde, zartgraue Seide gehüllt. Ein Kleid, welches ihre Herrin vielleicht ein ­halbes Dutzend Mal getragen hatte. Und so sah Phoebe aus wie eine Lady, was die wenigen Zuschauer der ­Zeremonie wohl ­bemerkten. Doch war sie eine sehr blasse und ­schattenhafte Lady, nur vage erkennbar in ihren ­fahlen Farben. Ihre Augen, das Haar, das Gesicht und das Kleid – alles verschmolz in bleichen und so unbestimmten ­Schattierungen, dass ein abergläubischer Fremder die Braut beim ­schwachen Licht dieses nebligen Novembermorgens durchaus für den Geist einer bereits ­Verstorbenen hätte halten können, die in den Gewölben unter der Kirche ruhen mochte.
    Mr Luke Marks allerdings verschwendete keine ­Gedanken an derartige Dinge. Er hatte nun die Frau ­seiner Wahl und das Ziel seines Ehrgeizes, ein Wirtshaus, sicher auf seiner Seite. Mylady hatte die fünfundsiebzig Pfund zur Verfügung gestellt, die für den Erwerb eines ­bescheidenen Gasthauses nötig gewesen waren.
    Dieses Gasthaus mit dem Namen „Castle Inn“ stand mitten in einem einsam gelegenen, kleinen Dorf, das auf der Kuppe eines Hügels thronte und „Mount Stanning“ hieß. Vom Aussehen her war es kein sehr einnehmendes Gebäude. Es machte eher einen baufälligen, vom Wetter geschundenen Eindruck und wurde nur von vier oder fünf dürren, hochgewachsenen Pappeln geschützt, die einen kümmerlichen Anblick boten. Der Wind hatte sein eigenes

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