Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi
Stellung einer Zofe in die einer Gesellschafterin aufsteigt. Sie war gerade gebildet genug, um in der Lage zu sein, ihre Herrin zu verstehen. Sie konnte gerade so viel Französisch, um den Sinn jener Romane, die Mylady in der Burlington Arcade zu bestellen pflegte, ungefähr zu erfassen und sich mit ihrer Herrin über die etwas fragwürdigen Inhalte unterhalten zu können. Die Ähnlichkeit, welche die Zofe mit Lucy Audley verband, schuf eine gewisse Sympathie zwischen den beiden Frauen.
In der Lindenallee fegten schneidende Oktoberwinde die Blätter von den Bäumen und trieben sie mit geisterhaft raschelndem Geräusch kiesbedeckte Wege entlang. Der alte Brunnen musste halb erstickt sein von all den Blättern, die um ihn herumtanzten und in strudelnden Kreisen in seinen schwarzen, zerbrochenen Schlund wirbelten. Sir Michael mochte noch so viele Gärtner beschäftigen, es gelang ihnen nicht, den Abdruck der zerstörerischen Hand des Herbstes vom Park um Audley Court fernzuhalten.
„Wie ich diesen trostlosen Monat hasse“, klagte Mylady ihrer Zofe. „Alles verfällt und geht zugrunde. – Werde ich jemals alt werden, Phoebe? Wird mein Haar abfallen, so wie die Blätter von jenen Bäumen, und werde ich dann ebenso bleich und kahl aussehen wie diese? Was wird aus mir werden, wenn ich einmal alt bin, Phoebe?“ Dieser Gedanke ließ die schöne Frau mehr erzittern als der kalte, frostige Wind. Sie erhob sich und ging durch den Raum. „Audley Court ist wirklich ein trüber Ort, Phoebe.“
Doch Phoebe war mit ihren Gedanken nicht bei ihrer Herrin, sondern bei ihrem Cousin Luke. Er hatte sich in Phoebes neues Leben gedrängt und verlangte die Ehe mit ihr, von der er sich angesichts der Vertrauensstellung seiner Künftigen zu ihrer Herrin Vorteile versprach.
„Heiraten!“ Lady Audley erhob heftige Einwände gegen die Torheit ihrer Zofe, diesen ungeschlachten Stallknecht heiraten zu wollen. Ein grauer Himmel brach über den Oktobernachmittag herein, und das schwarze Flechtwerk des Efeus verdunkelte die Flügelfenster. „Du bist doch sicher nicht in diese linkische, hässliche Kreatur verliebt, oder, Phoebe?“, erkundigte sich Mylady mit scharfer Stimme.
Phoebe blickte zu Boden. „Ich glaube nicht, dass ich ihn lieben kann“, nuschelte sie, von der Heftigkeit ihrer Herrin überrascht. „Wir sind seit unserer Kindheit zusammen gewesen, und als ich kaum fünfzehn Jahre alt war, habe ich versprochen, dass ich seine Frau werden würde. Ich wage es nicht, ihm die Heirat zu verweigern. Schon als Kind gebärdete er sich gewalttätig und rachsüchtig. Einmal musste ich mit ansehen, wie er im Streit ein Messer gegen seine eigene Mutter erhob. Ich versichere Ihnen, Mylady, ich muss ihn heiraten.“
„Du törichtes Mädchen, du wirst nichts dergleichen tun“, entgegnete Lucy. „Du befürchtest, er würde dich umbringen, nicht wahr? Glaubst du denn, du wärest als seine Frau sicherer? Wenn du seine dummen Pläne durchkreuzen oder ihn eifersüchtig machen würdest, wenn er eine andere Frau heiraten oder sich deines armseligen bisschen Geldes bemächtigen wollte, würde er dich dann nicht ebenfalls umbringen? – Ich sage dir, du wirst ihn nicht heiraten, Phoebe! Erstens hasse ich diesen Mann, und zweitens kann ich es mir nicht leisten, mich von dir zu trennen. Wir geben ihm einfach ein paar Pfund und schicken ihn seines Weges.“
Phoebe ergriff die Hände von Mylady und umklammerte sie krampfhaft. „Mylady! Meine gütige, liebenswürdige Herrin!“, rief sie leidenschaftlich aus. „Versuchen Sie nicht, meine Absicht zu vereiteln! Ich versichere Ihnen, ich muss ihn heiraten. Sie wissen nicht, wie er ist. Es wäre mein Verderben und das Verderben anderer, würde ich mein Wort brechen. Ich muss ihn heiraten!“
Lady Audley blickte ihre Zofe lange an. „Ich würde es sehr bedauern, dich zu verlieren. – Jedoch habe ich versprochen, dir bei allem als Freundin zur Seite zu stehen. Was beabsichtigt dein Cousin für euren Unterhalt zu tun, wenn ihr verheiratet seid?“
„Er würde gern ein Wirtshaus haben.“
„Ich verstehe“, sagte sie. „Dann soll er ein Wirtshaus haben, und je eher er sich zu Tode trinkt, desto besser. – Sir Michael verbringt den Abend bei einer Herrengesellschaft im Hause von Major Margrave und meine Stieftochter ist auf Besuch bei Freunden. Du kannst deinen Cousin nach dem Dinner in den Salon bringen. Ich werde ihm dann mitteilen, was ich für ihn zu tun
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