Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
Vom Netzwerk:
Spiel mit dem Castle Inn getrieben und seine Macht ­mitunter grausam ausgenutzt. Es war der Wind, der die niedrigen, strohgedeckten Dächer der Nebengebäude und Ställe so lange geprügelt und gebeutelt hatte, bis sie schwankend herunterhingen. Es war der Wind, der die hölzernen Läden vor den schmalen Fensterflügeln immer wieder geschüttelt und gerüttelt hatte, bis sie abgerissen und verfallen an ihren rostigen Scharnieren hingen. Und es war der Wind, der die feuchten Moosflecken auf der ­verfärbten Oberfläche des verputzten Mauerwerkes hinterließ. Kurz, es war der Wind, der zertrümmerte, vernichtete, losriss, auf den wankenden Gebäuden herumtrampelte und dann kreischend davonflog, um sich weiter auszu­toben und über seine zerstörerische Kraft zu frohlocken.
    Derbe Viehtreiber kehrten hier ein, um an der kleinen Theke etwas zu trinken. Die Bauern aus der Umgebung verbrachten im niedrigen, getäfelten Schankraum ­häufig ihren Abend und erörterten die politische Lage, während ihre Pferde in den heruntergekommenen Ställen eine ­verdächtige Mischung aus modrigem Heu und Bohnen kauten.
    Luke Marks, der ganz und gar nicht mit einem Auge für das Schöne belastet war, schätzte sich auf jeden Fall ­glücklich, der künftige Wirt des Castle Inn, Mount ­Stanning, zu werden.
    Eine Kalesche wartete im Nebel, um die Braut und den Bräutigam zu ihrem neuen Heim zu bringen. Nur wenige der einfachen Dorfbewohner, die Phoebe seit ihrer Kindheit gekannt hatten, warteten beim Friedhofstor, um ihr Lebewohl zu sagen. Ihre blassen Augen erschienen ­aufgrund der vergossenen Tränen und der roten Augenränder noch blasser als sonst. Über diese Zurschau­stellung von Gefühlen zeigte sich der Bräutigam höchst verärgert.
    „Weswegen flennst du so, Mädchen?“, fragte er wütend. „Wenn du mich nicht heiraten wolltest, hättest du es eben sagen sollen. Ich werd’ dich schon nicht umbringen, oder?“
    Die Zofe erschauderte, als er sie so anfuhr, und zog ihren Seidenumhang fest um ihre Schultern.
    „Dir ist kalt in diesem Aufputz“, meinte Luke und starrte mit missbilligender Miene auf ihr kostbares Kleid. „Warum können sich Frauen nicht so anziehen, wie es sich für ihren Stand gehört? Von meinem Geld kriegst du keine Seidenkleider, das kann ich dir sagen.“
    Er hob das zitternde Mädchen in die Kalesche und wickelte es in einen groben Mantel. Dann fuhr er mit ihr durch den gelben Nebel davon, gefolgt von zaghaften Hurrarufen einiger Dorfknirpse, die beim Tor herum­lungerten.

    Eine neue Zofe kam aus London, um Phoebe in ­Myladys Diensten zu ersetzen. Sie war eine sehr aufgeputzte ­Jungfer, die ein schwarzes Satinkleid und rosenfarbene Bänder um ihren Hut trug und sich bitterlich über das eintönige Leben in Audley Court beklagte.
    Doch das Weihnachtsfest brachte Aufregung und jede Menge Besucher in das alte Herrenhaus. Ein Land­junker und seine dicke Frau bezogen das Zimmer mit den ­Gobelins. Vergnügte Mädchen tummelten sich in den ­langen Gängen, während junge Männer aus den vergitterten Fenstern zum Himmel hinauf spähten, um das ­Wetter zu prüfen. In den geräumigen alten Stallungen gab es für weitere Pferde keinen freien Platz mehr. Im Hof hatte man sogar vorübergehend eine Schmiede errichtet, um die Jagdpferde der jungen Herren und Damen beschlagen zu können. Das Jaulen der Hunde erfüllte Audley Court mit ständigem Lärm und das gesamte Dachgeschoß war von fremden Dienstboten bevölkert. Jedes noch so kleine Fenster wurde in diesen Winternächten von Wachskerzen erhellt.
    Neben anderen Besuchern kam auch Mr Robert Audley zur Jagdsaison nach Essex. In seinem Reisesack brachte er ein halbes Dutzend Romane, eine Kiste Zigarren und drei Pfund türkischen Tabaks mit.
    Die angereisten ehrenwerten jungen Landjunker ­plauderten während der ganzen Zeit, die sie beim Frühstück verbrachten, über Stutenfohlen oder schwärmten von glorreichen siebenstündigen harten Ritten durch drei Grafschaften und mitternächtlichen Heimritten von dreißig Meilen. Sie waren jederzeit bereit, von der reich gedeckten Frühstückstafel davonzustürzen, um einen Blick auf eine verletzte Pferdefessel, ein verstauchtes Vorder­bein oder ein Füllen zu werfen, das man gerade vom Veterinär­arzt zurückgebracht hatte. Für diese jungen Landjunker war Mr Robert Audley, der über einer Scheibe Brot mit ­Marmelade seine Zeit vertrödelte, eine jeder Beachtung gänzlich unwürdige Person. Man hielt ihn, den

Weitere Kostenlose Bücher