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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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erhebe kein großes Geschrei, nur weil ich ein Haus nahe der Chancery Lane bekommen könnte und ein liebes Mädchen zur Cousine habe, aber ich bin der ­Vorsehung um nichts weniger dankbar, dass es so ist.“
    Alicia riss ihre grauen Augen weit auf und starrte ihrem Cousin ins Gesicht. „Ist das alles, was du mir zu sagen hast, Robert?“, fragte Miss Audley.
    „Nun ja, ich denke schon“, antwortete ihr Cousin nach reiflicher Überlegung. „Was ich damit zum Ausdruck ­bringen wollte, ist Folgendes: Heirate den fuchsjagenden Baron nicht, wenn du jemand anderen lieber hast. Denn wenn du nur geduldig bist, das Leben leicht nimmst und dich zu bessern versuchst in Bezug auf das Zuschlagen von Türen, das Hinein- und Hinausstürzen aus Zimmern, das ständige Gerede über Pferde und das Querfeldein-­Reiten, dann habe ich keinen Zweifel, dass die Person, die du vorziehst, dir ein vortrefflicher Ehemann sein wird.“
    „Ich danke dir, Cousin“, entgegnete Miss Audley, wobei eine leuchtende Röte der Empörung ihr Gesicht überzog. „Aber da du die Person, die ich vorziehe, vielleicht gar nicht kennst, meine ich, tätest du besser daran, dich nicht berufen zu fühlen, für sie zu antworten.“
    Nachdenklich strich Robert über sein Kinn. „Nein, natürlich“, erwiderte er nach einer Weile, „natürlich, wenn ich sie nicht kenne – aber ich habe gedacht, ich kenne sie.“
    „Dachtest du!“, schrie Alicia und sprang auf. Dann stürmte sie aus dem Salon.
    „Ich habe nur gesagt, ich dachte, ich kenne sie!“, rief Robert ihr nach, während er murmelte: „Wenn sie doch nur nicht immer so hinausstürzen würde.“
    Und so verließ der arme Sir Harry Towers Audley Court in denkbar unglücklicher Verfassung. Diese unerwartete Ablehnung hatte in der Tat die wenigen Gedanken, die den bescheidenen Gesamtinhalt des Geistes des jungen Barons ausmachten, völlig durcheinandergebracht.
    Sir Michael drückte ihm noch einmal herzlich die Hand, bevor sich der junge Mann auf sein Pferd schwang. „Es tut mir sehr leid, Towers“, meinte der Hausherr. „Sie sind ein guter Bursche, wie es ihn besser nicht geben kann. Sie wären meinem Mädchen sicherlich ein hervorragender Ehemann geworden, aber da ist der Cousin, wissen Sie, und ich denke, dass ...“
    „Sagen Sie das nicht, Sir Michael“, unterbrach ihn der Fuchsjäger energisch. „Ich kann über alles hinweg­kommen, nur über das nicht. Ein Mensch, der seinen Kragen umgeschlagen trägt und Brot mit Marmelade isst! Nein, Sir Michael. Wir leben in einer sonderbaren Welt, aber das kann ich von Miss Audley nicht glauben. Es muss einen anderen Grund geben, Sir, es kann nicht der Cousin sein.“
    Sir Michael schüttelte den Kopf, während der abgewiesene Freier davonritt.
    Mit tänzelnden Schritten kam Lady Audley durch die Halle auf ihren Ehemann zugelaufen und barg ihren leuchtenden Kopf an seiner Brust. „Der letzte unserer Besucher ist also abgereist, mein Lieber, und wir sind ­wieder ganz allein“, sagte sie. „Ist das nicht schön?“
    „Ja, mein Liebling“, erwiderte er zärtlich und strich über ihr Haar.
    „Außer Mr Robert Audley natürlich. Wie lange wird Ihr Neffe noch bleiben?“, fragte sie vorsichtig.
    „So lange er will, mein Schatz. Er ist immer willkommen“, antwortete der Baron. Dann jedoch, so, als besänne er sich, fügte er liebevoll hinzu: „Aber nur, wenn sein Besuch Ihnen recht ist, meine Liebste, und seine trägen Gewohnheiten und sein Rauchen Sie nicht stören.“
    Lady Audley spitzte ihre rosigen Lippen und blickte gedankenvoll zu Boden. „Das ist es nicht“, entgegnete sie zögernd. „Mr Audley ist ein sehr angenehmer junger Mann und auch ein sehr ehrenwerter junger Mann, aber wissen Sie, Sir Michael, ich bin eigentlich eine zu junge Tante für einen solchen Neffen und ...“
    „Und was, Lucy?“, fragte der Baron.
    „Die arme Alicia scheint auf die Aufmerksamkeit, die Mr Audley mir schenkt, eifersüchtig zu sein, und ... und ... Ich glaube, es wäre ihrem Glück zuträglicher, wenn Ihr Neffe seinen Besuch beenden würde.“
    Sir Michael verstand, was seine Frau mit diesen Worten tatsächlich sagen wollte. „Er soll noch heute Abend gehen, Lucy!“, rief Sir Michael aus. „Ich bin ein blinder, unachtsamer Narr gewesen, dass ich nicht früher daran gedacht habe. Natürlich empfindet ein so junger Mann etwas für wunderschöne Frauen! – Mein reizender kleiner Liebling, es war aber auch Robert gegenüber nicht ganz gerecht, den armen

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