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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dryas Verlag
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Müßiggänger oder der größten Klatschbase daran gelegen sein konnte, sich hinauszuwagen. Es war kein Markttag, und daher waren nur sehr wenige Leute auf der Straße ­zwischen Brentwood und Chelmsford unterwegs.
    Das Mädchen klopfte an die Tür, um seine Herrin zum Lunch zu holen. Mylady öffnete die Tür jedoch nur einen Spalt und bekundete ihre Absicht, keinen Lunch ­einnehmen zu wollen. „Mein Kopf schmerzt fürchterlich“, klagte sie. „Ich werde mich bis zum Dinner hinlegen. Du kannst um fünf Uhr kommen, um mich anzukleiden.“
    Lady Audley sagte das, obwohl sie zuvor bereits ­entschieden hatte, sich schon um vier Uhr umzuziehen, um auf diese Weise auf die Dienste ihrer Zofe verzichten zu können. Unter allen privilegierten Spionen hatte die ­Kammerzofe seit jeher die größten Privilegien. Mylady jedoch traute ihrer Zofe nicht, so wie sie niemandem traute. Diese wohlgeschulten Dienerinnen verstanden es, die ­obskursten Symptome aller seelischen Leiden zu ­deuten, die ihre Herrin plagen könnten. Lady Audley hatte ihre neue Zofe nicht zu ihrer Vertrauten gemacht. Ein ­weiteres Mal würde sie diesen Fehler nicht begehen.
    Ermattet warf sich Lady Audley auf das elegante Sofa in ihrem Ankleidezimmer, vergrub das Gesicht in den Daunenkissen und versuchte zu schlafen. Schlaf! Sie hatte fast vergessen, was das war, dieser gütige Heiler der müden Natur. Es schien schon so lange her zu sein, seit sie geschlafen hatte. Sie sank in einen unruhigen Schlummer.
    Die Uhr auf dem Kaminsims schlug Viertel vor vier, als sie plötzlich erwachte und mit kaltem Schweiß auf der Stirn, der in eisigen Tropfen ausgebrochen war, in die Höhe fuhr. Sie hatte geträumt, dass jedes Mitglied des Haushalts in seinem Eifer, ihr von dem entsetzlichen Feuer zu berichten, das in der Nacht gewütet hatte, laut vor ihrer Tür schrie und sie beschuldigte, die Brandstifterin zu sein.
    Doch da war kein Geräusch, außer dem ­Klopfen der Efeuranken gegen die Fensterscheiben, dem gelegent­lichen Herunterfallen ausgeglühter Kohle und dem gleichmäßigen Ticken der Uhr.
    Es hatte aufgehört zu regnen, und der kalte Frühlingssonnenschein flimmerte auf den Fenstern. Lady ­Audley zog sich schnell, aber sorgfältig an. Sie blickte in den Spiegel und betrachtete sich. Ihre Schönheit verstand sie als Waffe. Und darum fand sie es nun doppelt nötig, gut gerüstet zu sein.
    Sie zog ihr prächtigstes Seidenkleid an und eine ­bauschige Robe in einem silbrig schimmernden Blau, die sie aussehen ließ, als sei sie in Mondstrahlen gehüllt. Dann schüttelte sie ihr Haar, bis es eine fedrige Fülle ­glitzernden Goldes war. Mit einem weißen Kaschmirumhang um die Schultern ging sie in die Halle. Im selben Moment kam Alicia die Treppe herab. „Möchten Sie mit mir einen ­Spaziergang im Hof machen?“, fragte Lady Audley munter. Die bewaffnete Neutralität zwischen den beiden Frauen ließ zufällige Artigkeiten wie diese durchaus zu.
    „Ja, wenn Sie wünschen, Mylady“, antwortete Alicia eher lustlos.
    Lady Audley ging durch die niedrige Tür voran und wandte sich zur kiesbestreuten Auffahrt. Sie war noch immer sehr blass, aber das Leuchten ihres Kleides und ihrer goldenen Locken lenkte den Blick des Beobachters von ihrem Gesicht ab. Sie war hinausgegangen, weil sich eine furchtbare Unruhe ihrer bemächtigt hatte, die es ihr unmöglich machte, im Hause zu bleiben und auf eine gewisse Nachricht zu warten, von der sie wusste, dass sie nur zu sicher kommen musste. Zuerst hatte sie gewünscht, das Eintreffen der Nachricht würde abgewendet. Nun aber sehnte sie sie herbei. Sie hatte nicht länger den Wunsch, die gefürchtete Nachricht zu verzögern. Sie wünschte sich, die Qual, wie immer sie auch sein würde, wäre vorüber und vorbei, die Pein durchlitten und die Erlösung erreicht. Es schien ihr, als wolle dieser unerträgliche Tag niemals ein Ende nehmen und als sei ihr verrückter Wunsch in ­Erfüllung gegangen und der Lauf der Zeit tatsächlich ins Stocken geraten.
    „Was für ein langer Tag das doch gewesen ist!“, rief ­Alicia. „Nichts als Nieselregen, Nebel und Wind! Und nun, da es zu spät ist, um auszugehen, muss es schön werden!“
    Lady Audley antwortete nicht. Sie blickte zur dummen Uhr und wartete auf die Nachricht, die früher oder später eintreffen musste. Hätte sie in die entlaubte Allee oder bis zu jenem Hügel laufen können, auf dem sie sich erst vor so kurzer Zeit von Phoebe getrennt hatte, dann hätte sie das nur zu

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