Das Geheimnis der Maurin
herrlichen tiefblauen Stoff, der wie für ihre Tochter gemacht war. Sie sah sich nach dem Händler um, konnte ihn aber nirgends entdecken – bis sie auf einen Kastilier aufmerksam wurde, der mit dem Händler am Nachbarstand sprach. Zuerst wollte Zahra ihn auf Spanisch ansprechen, aber dann hatte sie Angst, dass er sie aufgrund ihres fehlenden Akzents für eine zum muslimischen Glauben übergetretene Christin halten könnte, und redete ihn doch auf Maurisch an. Der stämmige Mann fuhr zu ihr herum und riss ihr augenblicklich den Stoff aus den Händen. »Finger weg von meinen Sachen, ich verkaufe nichts an euch ungläubiges Pack, na los, verschwinde, sieh zu, dass du weiterkommst, du Teufelsbraut!«
Empört schnappte Zahra nach Luft und hatte eine entsprechende Erwiderung schon auf der Zunge, doch Maryam packte sie am Arm und zog sie mit einem flehentlichen »Bitte, Herrin, lasst uns gehen, so kommt doch!« weiter. Erst nachdem Zahra mehrmals heftig durchgeatmet hatte, sah sie ein, dass Maryam recht hatte: Nein, mit so einem bornierten kastilischen Ochsen lohnte es sich allerdings nicht, einen Streit anzufangen, zumal sie damit womöglich Maryam in Gefahr brachte. Aber die Zurückweisung des Kastiliers rumorte weiter in ihr. Granada – das war über siebenhundert Jahre lang die Stadt der Mauren gewesen. Wie konnte dieser Kastilier es wagen, so mit ihr zu reden? Und wenn er sich dies nun schon zu Beginn von Cisneros’ Amtszeit herausnahm – wie würde es dann weitergehen?
II.
Granada
20 . November 1499
A ls Abdarrahman und Musheer geendet hatten, sahen ihre Freunde sie ungläubig an. Wie so oft in den letzten Wochen waren sie nach dem Unterricht in ihrem Studiersaal in der Medresse geblieben, um über die neuesten Vorfälle in der Stadt zu diskutieren. Doch was die beiden jungen Männer ihnen heute zu berichten gehabt hatten, überstieg alles, was sie sich je hätten vorstellen können: Cisneros hatte vier Imame, einen Faqih und einen Mufti in seine Gewalt gebracht und wollte sie erst wieder freilassen, wenn sie die Taufe angenommen hatten und fortan dem Gott der Christen dienen wollten – was nicht weniger bedeutete, als dass sie ihre alten Glaubensbrüder dem christlichen Glauben zuführen sollten.
Der Erste, der sich aus seiner Starre löste, war Abdul. Er erhob sich von seinem Sitzkissen und ging zur hohen Flügeltür des Saals, um sie zu schließen, und allen war klar, warum er dies tat: Auch in ihnen hatte der Bericht die Befürchtung ausgelöst, dass man fortan selbst auf dem Gelände der Moschee nicht mehr vor Cisneros’ Spitzeln sicher war. Als Abdul seinen Platz wieder eingenommen hatte, räusperte er sich und fragte mit tonloser Stimme: »Aber wie kann Cisneros seit einer Woche sechs so bekannte muslimische Glaubensführer in seiner Gewalt haben, ohne dass wir etwas davon erfahren haben? Warum haben ihre Familien niemandem etwas gesagt?«
»Ganz einfach: Weil sie Cisneros’ Rache fürchten!« Abdarrahman hob die Augenbrauen. »Und selbst jetzt, da wir eindeutige Beweise haben, behaupten die Familien dieser Männer noch, dass sie lediglich auf einer Reise seien!«
Abdul schüttelte fassungslos den Kopf. »Und Cisneros lässt sie tatsächlich nur wieder frei, wenn sie die Taufe annehmen? Und was wollen sie uns dann später erzählen, wie sie zu ihrem neuen Glauben gekommen sind? Dass ihnen auf ihrer ›Reise‹ der Heilige Geist erschienen ist und sie deswegen zum Christentum konvertiert sind?«
»Ich verstehe deinen Zorn, Abdul, aber wenn die Männer keine andere Möglichkeit sehen, um ihr Leben und das ihrer Familien zu retten, sollten wir sie keinesfalls verspotten«, mischte sich Musheer wieder in die Diskussion. Trotzdem auch er erst siebzehn Jahre alt war, zeugten seine Worte stets von großer Reife. »Und noch weniger sollten wir diese Männer verurteilen! Cisneros hat offensichtlich weit mehr Macht und noch weniger Skrupel, als wir angenommen hatten. Und leider scheint dies noch nicht einmal der erste Fall von Beugehaft zu sein: Vor zwei Wochen muss Cisneros schon einmal drei Imame festgesetzt haben, und das ist wohl nur deswegen niemandem aufgefallen, weil sich seine ersten muslimischen ›Gäste‹ ziemlich rasch von ihm haben überzeugen lassen, dass es heilbringender für sie ist, den Glauben zu wechseln.«
»Zum Lohn für ihre rasche Auffassungsgabe hat Cisneros ihnen dann etliche Morgen fruchtbares Land in der Vega übereignet«, fügte Abdarrahman bitter hinzu. »Die jetzigen
Weitere Kostenlose Bücher