Das Geheimnis der Maurin
Zahra zu Jaime. »Können wir Maryam gleich morgen früh mit ihrem Sohn zur Farm bringen? Dort suchen sie doch gewiss nicht nach ihr!«
Jaime nickte. »Ich gehe davon aus, dass sie sich erst einmal auf Granada konzentrieren werden. Allerdings …« Jaime brach ab und schüttelte den Kopf. »Ja, so machen wir es. So machen wir es.«
Zahra ahnte, was Jaime noch hatte sagen wollen, nämlich, dass die Büttel eines Tages auch zu ihrer Farm hinausfinden würden und es für die Renegaten nirgends mehr Sicherheit gab.
»Ist Weglaufen alles, was Euch dazu einfällt?«, kam es da gepresst aus Abdarrahmans Kehle. »Sollen wir uns das jetzt etwa auch noch gefallen lassen? Ja, verdammt, seht Ihr denn nicht, dass wir uns endlich wehren müssen?!«
»
Wir
müssen gar nichts!« Jaime wandte sich zu seinem Sohn um. »Und ich warne dich: Wag es nicht, dich in diese Dinge einzumischen, wag es bloß nicht!«
Abdarrahman warf seiner Mutter und seinem Onkel einen schnellen Blick zu. Raschid hob abwehrend die Hände, in Zahras Augen aber spiegelte sich zumindest ein gewisses Verständnis. Nach einem Blick zurück zu seinem ihn noch immer erbittert ansehenden Vater erhob sich Abdarrahman und verließ den Wohnraum. Er schloss die Tür beinahe geräuschlos hinter sich, und doch durchfuhr das Klicken Zahra wie ein hämmernder Glockenschlag. Ihr war, als sei damit endgültig eine neue Zeit eingeläutet worden.
IV.
Granada
22 . Dezember 1499
H errin, Herrin!«
Zischelnd und drängend schob sich Zubairs Stimme in Zahras andächtiges Gebet. Verwundert verstummte sie, hob den Kopf von ihrem Gebetsteppich und sah zu ihm auf. Mit einer Öllampe in der Hand stand er an der Tür und leuchtete in ihr Zimmer, in das durch die Mashrabiya-Gitter gerade das erste Tageslicht seinen Weg suchte. Zahra konnte sich nicht daran erinnern, dass Zubair jemals in ihr Zimmer oder in das eines der anderen Frauen im Haus getreten wäre. Und das dann auch noch gerade zur Gebetszeit …
Noch ehe sie ihn fragen konnte, was es denn so Dringendes gab, legte er die Finger auf die Lippen und flüsterte: »Vielleicht haben wir Glück, und sie wollen gar nicht zu uns, aber falls doch, solltet Ihr gewarnt sein!«
»Gewarnt?«, entfuhr es Zahra voller Schreck.
Mahnend führte Zubair die Finger noch einmal zu den Lippen. Zahra nickte, richtete sich geräuschlos auf und schlich zu ihm. »Wer soll nicht zu uns wollen?«
»Die Büttel … Sie kommen die Straße hoch. Ich habe sie eben von der Dachterrasse aus gesehen, wo ich mein Gebet verrichten wollte.«
Im gleichen Moment klopfte es energisch an der Haustür. Dumpfe Stimmen drangen zu ihnen hoch, und sie klangen alles andere als wohlmeinend.
»Verdammt«, fluchte Zubair. »Habe ich es doch geahnt!«
Erst eine Sekunde später wurde Zahra klar, was er meinte – und vor Schreck blieb ihr fast das Herz stehen. »Maryams Sohn!«
In Windeseile rannte sie nach unten, suchte Maryam und verfluchte Raschids und Jaimes Arbeit in der Alhambra, die sie wieder einmal gezwungen hatte, das Haus schon vor Tagesanbruch zu verlassen. Allerdings waren die beiden durchaus mit dem guten Gefühl gegangen, dass heute früh einer ihrer Wachleute Maryam und ihren Sohn zur Seidenfarm bringen würde, wohin auch Yayah schon am Abend zuvor mit Raschid zurückgekehrt war. Niemand hatte damit rechnen können, dass die Büttel schon bei Tagesanbruch bei ihnen auftauchen würden, zumal Maryam bei weitem nicht die einzige Renegada Granadas war. Zu ihrem Erstaunen fand Zahra weder die junge Frau noch ihren Sohn im unteren Schlafraum, sah dann Licht in der Küche und eilte weiter. Tatsächlich waren die beiden dort. Der neunjährige Hamid lehnte an der Wand, Maryam hatte die Ärmel ihrer Tunika bis über die Ellbogen hochgekrempelt und knetete Brotteig, obwohl Zahra ihr am Vortag versichert hatte, dass sie sehr gut ein paar Tage selbst für sich sorgen könne. Als Zahra gerade etwas zu Maryam sagen wollte, klopften die Büttel erneut.
»Aufmachen! Im Namen der heiligen Inquisition – öffnet, oder wir brechen die Tür auf!«
Sofort war auch Maryam klar, worum es ging. Ihr Blick flog panisch zu ihrem Sohn, der sich nun zu ihnen umdrehte. Auch in seinen Augen stand die nackte Angst. Zahra legte Maryam warnend die Hand auf den Mund. »Pst. Sie dürfen dich nicht hören!«
»Aber Herrin, ich … Was soll denn werden, wenn sie hereinkommen? Mein Sohn … Hamid, Hamid!« Sie streckte die Hand nach ihm aus, doch Hamid war wie
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