Das Geheimnis der Maurin
sie.
Der Drahtige tat einen Schritt auf sie zu. »Und wie verhält es sich dann damit, dass die Renegada noch gestern hier gesehen worden ist? Du spielst mir was vor, und der Junge da an deiner Hand, das ist garantiert der von dem Ketzerweib, oder etwa nicht? Und sie, sie versteckst du hier irgendwo im Haus! Ihr Maurenpack seid doch alle gleich!«
»Der Junge?« Zahra lachte auf, was ihr nicht schwerfiel, allerdings war es die reine Hysterie. Sie zog Hamid vor sich, drückte ihn so liebevoll an sich, wie es jede Mutter mit ihrem Sohn getan hätte, und strich ihm durchs Haar. »Aber nein, das ist mein Sohn, Yayah as-Sulami. Wollt Ihr seine Papiere sehen?«
Zahras Herz schlug mittlerweile so heftig, dass ihr schwindlig wurde, denn genau wie Yayah waren auch seine Papiere auf der Seidenfarm.
Der Drahtige kniff die Augen zusammen, blickte sie scharf an und zog eine weitere Pergamentrolle aus seiner Umhängetasche. Er rollte sie auf und durchsuchte eine lange Liste von Namen. »Ja«, brummte er schließlich. »Hier wohnt tatsächlich noch ein anderer Junge in dem Alter.«
Er verstaute die Pergamentrolle wieder, ging mit misstrauischem Blick zum Wohnraum, stieß mit einem Fußtritt die Tür auf, marschierte weiter zur Küche, zum Gesindeschlafraum und zur Speisekammer, während sein Amtskollege die Treppe hochstieg und sich dort in den Schlafräumen und auf der Dachterrasse umsah.
»Scheint sonst niemand da zu sein«, brummte der Büttel mit den riesigen Händen wenig später von der Galerie herunter.
»Hier unten auch nicht«, knurrte der Drahtige. Mit unwirschem Schnauben machte er seinem Amtskollegen Zeichen, wieder herunterzukommen, und trat dann so dicht an Zahra heran, dass diese trotz des Hidschabs seinen Atem auf ihren Wangen spüren konnte.
»Seid gewiss, dass wir wiederkommen«, zischte er sie an, »und diese impertinente Renegada und ihren verblendeten Balg früher oder später finden werden! Und wenn wir je herausfinden, dass Ihr sie versteckt habt, seid Ihr dran!«
Zahra unterdrückte einen Schluckreflex. »Ja, sucht die Frau!«, gab sie zurück und schaffte es sogar, dies ohne ein Zittern in der Stimme zu sagen. »Und sagt ihr, dass auch ich noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen habe! Mich einfach so mit dem Haushalt sitzen zu lassen – eine Unverschämtheit ist das!«
Die Miene des Büttels blieb ungerührt. Immerhin aber winkte er seinem Kollegen zu, nach unten zu kommen, und verließ dann ohne einen weiteren Blick auf sie das Haus. Als die Tür ins Schloss fiel, zog Zahra Hamid noch enger an sich. Sie spürte, wie der Jungen zitterte, und mit einem Mal schlang er ihr aufschluchzend die Arme um den Hals.
Es ist ja gut, alles ist gut, wollte Zahra ihn trösten, brachte es aber nicht über die Lippen, denn sie wusste, dass nichts mehr gut war.
Nicht nur Maryam und ihr Sohn versuchten, dem Zugriff der Büttel zu entkommen, auch viele andere Renegados flohen mit ihren Kindern Hals über Kopf aus der Stadt, und diejenigen, denen dies nicht mehr gelang, flehten ihre muslimischen Nachbarn an, ihre Kinder bei sich zu verbergen und sie, wie Zahra es getan hatte, als ihre eigenen auszugeben. Trotz aller Unterstützung auf Seiten der Mauren führten die Büttel den ganzen Tag über Kinder der Renegados ab. Das Weinen und Wehklagen der Mädchen und Jungen und ihrer Eltern hallte wie ein einziger, langgezogener Klagelaut durch die Stadt – und brachte die Seelen der Mauren dermaßen zum Kochen, dass sich in der Stadt Männer zusammenrotteten. Zuerst diskutierten und schimpften sie nur, aber mit jeder Stunde fanden sich mehr Entschlossene, die dem Treiben der Christen ein Ende setzen wollten – und schließlich lösten sich aus ihnen einzelne Gruppen heraus, die ihre Schwerter ergriffen und Cisneros’ Büttel die Kinder mit Waffengewalt entrissen. Später fanden sich einige von ihnen in der Medresse wieder, wo dann auch Abdarrahman und Musheer, die eben vom Unterrichtssaal hinaus in den Innenpatio traten, von den Vorfällen erfuhren.
»Aber woher nehmen die Christen das Recht, diese Kinder zu rauben?«, ereiferte sich Abdarrahman. »Die Glaubensfreiheit, die sie uns in den Kapitulationsvereinbarungen zugesagt haben, muss doch auch für Neumuslime gelten, und nichts anderes sind diese Kinder!«
»Außerdem haben die Christen sowieso nicht das Recht, in unsere Häuser einzudringen!«, pflichtete Musheer ihm bei.
»Recht oder nicht Recht – sie tun es!«, übertönte da eine zwar ruhige, aber
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