Das Geheimnis der Maurin
deswegen nicht weniger dominante Stimme alle anderen.
Abdarrahman wandte den Kopf und machte Assad al-Kinani als Sprecher aus. Er war Medizinstudent im letzten Lehrjahr, stammte wie Abdarrahman aus einer hochangesehenen maurischen Familie und war dafür bekannt, eine deutliche Sprache zu sprechen – selbst wenn ihm daraus Nachteile erwuchsen. Viele scheuten deswegen seine Nähe, Abdarrahman aber hatte ihn schon immer bewundert.
»Hast du die Büttel gesehen?«, fragte Abdarrahman.
»Allerdings.« Assad hob die Augenbrauen. »Leider haben wir ihnen nur fünf Kinder entreißen können, und ob diese es mit ihren Familien aus der Stadt herausgeschafft haben, ist nicht einmal sicher. Wenn die Soldaten nicht gekommen wären, hätten wir sicher noch mehr ausrichten können.«
In Abdarrahman stieg Scham auf, dass er in der Medresse auf einem Kissen gesessen und einer Vorlesung über Brüche gelauscht hatte, während auf der Straße Familien auseinandergerissen und verschleppt wurden.
»Werdet …« Abdarrahman schluckte. »Werdet ihr auch morgen wieder den Renegados beistehen?«
Assad nickte.
»Ich glaube, den Gedanken schlägst du dir besser gleich wieder aus dem Kopf!«, knurrte Musheer Abdarrahman leise von der Seite zu, legte ihm die Hand auf den Arm und warf ihm einen eindrücklichen Blick zu. Abdarrahman schluckte: Ja, seine Mutter würde allerdings nicht wollen, dass er sich in diese Dinge einmischte – und sein Vater noch viel weniger.
»Aber wir … wir können doch nicht einfach nur zusehen!«, begehrte er unglücklich auf. »All unser Gerede der letzten Monate, die Briefe und Delegationen – sie haben rein gar nichts bewirkt! Heute sind es die Renegados, die sie abführen – morgen werden es die Muslime sein!«
»Es sind schon jetzt Muslime«, korrigierte Assad ihn sanft. »Die Kinder unserer Glaubensbrüder sind schließlich Teil unserer
umma,
sie gehören zu uns – auch wenn ihre Mütter oder auch beide Elternteile früher Christen waren. Morgen früh werden wir noch weit mehr Männer in der Stadt verteilen, um die Kinder zu schützen. Die Christen müssen merken, dass wir uns nichts mehr gefallen lassen.«
»So gut ich dich verstehe – aber Abdu ist nicht der Richtige für diese Aktionen«, hielt Musheer Assad entgegen. »Zum einen ist er noch nicht einmal sechzehn, und zum anderen ist sein Vater Christ, und du kannst dir gewiss vorstellen, was der mit ihm anstellt, wenn er dahinterkommt, dass er bei euch mitmischt!«
»Dann soll er es eben mitkriegen!«, fiel Abdarrahman seinem Freund heftig ins Wort. »Denn
ich
bin kein Christ, und ich werde auch nie einer werden, und deswegen werde ich morgen sehr wohl mit ihnen gehen!«
»Abdu, du …«
»Ich weiß, was ich tue!«, unterbrach Abdarrahman ihn noch einmal und hatte auf einmal das Gefühl, viel mehr Luft zu bekommen. »Ja, ich weiß es!«
Musheer rieb sich über die Stirn, blies die Backen auf und brummte: »Aber allein lasse ich dich da nicht mit!«
Als Abdarrahman die drei Büttel mit den beiden Wachsoldaten auf sich und seine Freunde zumarschieren sah, wich er unwillkürlich einen Schritt zurück. Assad hatte ihn und Musheer am frühen Morgen mit zu seinen Freunden genommen, wo ihnen mehrere Straßenzüge im Albaicín zugewiesen worden waren, in denen Renegados mit ihren minderjährigen Kindern wohnten und in denen sie patrouillieren sollten. Sie waren zu sechst: fünf Studenten und Musheers Bruder Jamaal, der aus der ersten Ehe seines Vaters stammte und fast doppelt so alt war. Im Krieg gegen die Christen war er über viele Jahre Heerführer von Boabdils Truppen gewesen und gehörte nun zu den Anführern des Aufstands. Er wusste wie kaum ein anderer das Schwert zu führen und war doch jemand, der stets eine friedliche Lösung einer kriegerischen vorzog. Von klein auf hatte Musheer zu ihm aufgesehen und war sehr stolz, nun zum ersten Mal Seite an Seite mit ihm kämpfen zu dürfen.
»Lasst euch nicht provozieren«, zischte Jamaal ihnen zu, ohne die christlichen Ordnungshüter aus den Augen zu lassen. »Wenn Allah uns beisteht, reicht vielleicht unsere bloße Präsenz, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Niemandem ist an Blutvergießen gelegen; wir wollen lediglich die Kinder unseres Viertels schützen!«
Abdarrahman sah, wie seine Freunde nickten, und hoffte, dass der Allmächtige Jamaals Worte gehört hatte und ihnen beistand. Seine rechte Hand begann zu schmerzen. Er löste sie vom Schwertknauf, wischte sie an seiner
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