Das Geheimnis der Maurin
Chalida bloß: »Aber gar nichts, Mutter, gar nichts, ganz bestimmt nicht!«
Zahra ahnte, dass diese auffallende Distanz mit Chalidas Veränderung in der letzten Zeit zu tun hatte. Denn so frohgemut und leichtherzig ihr Sohn jetzt durchs Leben wandelte, so nachdenklich und in sich zurückgezogen erschien ihr Chalida neuerdings. Doch sie kam nicht dahinter, was diese Veränderung ausgelöst haben mochte, nur, dass es wohl um die Zeit des Aufstands oder kurz danach begonnen haben musste – ohne dass diese zeitliche Eingrenzung ihr dabei half, ihre Tochter besser zu verstehen. Auf entsprechende Fragen wich Chalida ebenso aus wie auf diejenigen, die Adilah betrafen. Immerhin fand Zahra mit den Wochen eines heraus: dass sich Chalida nicht zuletzt an Adilahs strenger Gläubigkeit stieß.
»Aber warum stört dich gerade das?«, fragte sie ihre Tochter. »Kraft aus seinem Glauben zu ziehen und ernsthaft seinen Pflichten als Muslima nachzukommen ist doch etwas Schönes und Positives!«
»Das kommt darauf an, von welcher Seite man das sieht«, gab Chalida übellaunig zurück. »Denn eines zumindest müsst Ihr zugeben: Neben Adilah würde selbst die Tochter des Propheten noch wie eine Ungläubige wirken!«
»Aber es verlangt doch niemand, dass du ihr nacheiferst …«
»Ach nein? Und warum sonst essen wir, seit sie hier ist, nach Geschlechtern getrennt? In den letzten Wochen habe ich Vater kaum mehr als ein paar Stunden gesehen! Früher haben wir nur getrennt gegessen, wenn Besuch da war. Und auch sonst machen alle, was sie will!«
»Aber das stimmt doch gar nicht! Wir machen nur, was im Koran geschrieben steht.«
»Das stand da auch schon alles, bevor Adilah Abdu geheiratet hat!«
»Aber damals …« Zahra zögerte und seufzte. »Ehrlich gesagt ist mir die Umstellung auch schwergefallen, aber Adilah ist nun einmal nicht daran gewöhnt, mit Juden unter einem Dach zu leben, und da die Geschlechtertrennung bei den Juden beim Essen nicht durchgeführt wird, haben wir uns da irgendwie ihnen angepasst. Doch genauso viel Achtung und Respekt wie Deborahs Familie gebührt auch Adilah, und Deborah hat das sofort eingesehen.«
»Trotzdem«, murrte Chalida. »Im Endeffekt ist es doch so, dass alle machen, was sie will. Und auch Ihr betet viel mehr und viel regelmäßiger, seit Adilah hier ist!«
Zahra lächelte.
»Und wisst Ihr, was sie erst neulich zu Ranaa gesagt hat?« Chalida setzte ein gewichtiges Gesicht auf. »Sie hat gesagt, dass sie sich niemals so wie Ranaa zwangstaufen lassen würde. Nie, nie, niemals, hat sie gesagt! Eher würde sie sich das Leben nehmen. Ganz im Ernst hat sie das gesagt, und Abdu, der danebengestanden hat, ist weiß wie die Wand geworden; er sah wirklich aus, als würde er vor Schreck gleich selbst tot umfallen! Ach, Mutter, wollt Ihr allen Ernstes behaupten, dass Ihr neben Adilah nicht auch manchmal das Gefühl habt, weniger wert zu sein, zumal Ihr und Vater …« Verlegen presste Chalida die Lippen aufeinander, aber Zahra nahm ihr die Anspielung auf ihr streng genommen unsittliches Verhältnis nicht übel, sondern wiegte nur den Kopf. »Ja, irgendwie hast du schon recht – zumindest, wenn man es von dieser Seite aus betrachtet. Und es stimmt, dass auch ich Momente habe, in denen ich mich neben ihr seltsam … ungenügend fühle – obwohl mir klar war, was mich mit ihr erwartete: Jedermann in Granada weiß, wie strenggläubig ihre Familie ist. Immerhin befinden sich unter ihren Onkeln zwei Faqihs und drei Imame!«
»Auch das noch«, brummte Chalida und rieb sich über die Nase. »Da war es damals sicher nicht leicht, eine Ehe zwischen Adilah und Abdu zu vereinbaren, oder?«
»Allerdings nicht«, musste Zahra zugeben. »Die Tatsache, dass ich mit einem Kafir zusammenlebte, erschien Adilahs Eltern im höchsten Maße unehrenhaft und geradezu schockierend, aber irgendwie hatte Raschid sie davon überzeugen können, dass ich euch im rechten Glauben erzog und wir trotzdem alle gute und ernsthafte Muslime waren – und natürlich hat auch Raschids tiefe Freundschaft mit Adilahs Vater dazu beigetragen, dass der dann doch sein Jawort gab.«
Zahra sah zu ihrer Tochter und spürte zum ersten Mal, seit Jaime wieder bei ihnen wohnte, eine gewisse Nähe zu ihr – und das machte sie sehr glücklich.
»Und wenn ich …«, setzte Chalida an, verstummte kurz und fuhr dann doch fort: »Und wenn ich einen Christen kennenlernen würde, so wie Ihr damals? Würdet Ihr mir dann auch erlauben, mit ihm zu
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