Das Geheimnis der Maurin
weiterhin darauf, alle Aufständischen hinzurichten, und ihr wisst selbst, wie viele unserer Freunde unter diesen Menschen sind! Aber auch diejenigen Mauren, die nicht am Aufstand teilgenommen haben, werden nicht ungeschoren davonkommen: Der Conde hat den Königen einen Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem wir entweder die Taufe annehmen oder das Land verlassen müssen. Wir können jetzt nur beten, dass die Könige diesen Entwurf nicht billigen.«
»Ich habe noch von weit grausligeren Plänen gehört!«, knurrte Abdarrahman. Seit er verheiratet war, nahm er ebenfalls an den Versammlungen der Erwachsenen teil. Er warf einen unsicheren Blick auf Chalida, der Zahra heute ausnahmsweise erlaubt hatte zu bleiben, aber seine Wut war so groß, dass es einfach aus ihm herausmusste: »Pläne, die so weit gehen, dass sich hochstehende Christen im Umfeld des Condes sogar ganz offen über eine Zwangskastration unseres Volkes austauschen, während andere vorhaben, uns vollständig auszurotten!«
Fassungslos sah Zahra zu Jaime und wollte von Flucht reden, aber im gleichen Moment zog das Drama ihrer Flucht von vor zehn Jahren wieder an ihr vorbei, und ihr war klar, dass sie sich diesmal nicht nur vor Strauchdieben und Wegelagerern in Acht würden nehmen müssen. Wenn die Christen in der Tat ein solches Gesetz beschlossen, würden sie auch dafür sorgen, dass ihnen keine der Seelen, die sie »retten« wollten, entwischte …
Jaime hob beschwichtigend die Hand. »Noch kann niemand sagen, was geschehen wird, und das, was du da erzählst, Abdu, halte ich für reine Panikmache!«
»Und warum? Nur weil es
Eure
gottverdammten Christen sind?« Abdarrahman spuckte seinem Vater die Worte fast entgegen. Augenblicklich schnellte Jaime von seinem Platz hoch. »Pass du nur auf, dass du dir nicht schon gleich jetzt etwas von einem Christen einfängst – und zwar von mir!«
»Nur keine Scheu! Darauf warte ich ohnehin schon lange!«
Zahra trat vor ihren Sohn und warf auch Jaime einen scharfen Blick zu. »Hört auf damit, sofort!«
Abdarrahman machte eine wütende Handbewegung, drehte sich um und stampfte leise fluchend ins Haus. Erst als Zahra spürte, wie die Spannung auch in Jaime nachließ, konnte sie wieder atmen.
»Und was soll jetzt werden?«, fragte sie kurz darauf so leise und verzweifelt in die Stille hinein, als erwarte sie ohnehin von niemandem eine Antwort – weil es auf diese Frage keine Antwort geben konnte.
»Ich weiß nur eines, nämlich, dass Tamu gesagt hat, du sollst viel ruhen, wenn du dich und unser Kind nicht in Gefahr bringen willst«, gab Jaime zurück. »Wir haben also so oder so keine andere Wahl, als hierzubleiben und abzuwarten. Und Abdus Schauergeschichte – nein, niemals würde Isabel einen solchen Erlass unterschreiben!«
»Aber vielleicht Fernando – oder Cisneros«, erwiderte Zahra tonlos. Sie dachte an Gonzalo. Gewiss würde auch er an den Verhandlungen teilnehmen, aber ob er die Mauren noch so wie früher verteidigte …
»Außerdem haben die Christen schon oft mit Zwangstaufen gedroht«, versuchte auch Raschid, die Gemüter zu beruhigen, »und hinterher ist dann doch nichts geschehen. Und das Exil … Wir alle wissen, welche Gefahren auf dem Weg dahin auf uns lauern. Wie viele der Mauren, die damals zeitgleich mit uns geflohen sind, und wie viele der Juden, die vor neun Jahren das Exil der Taufe vorgezogen haben, haben ihr Ziel niemals erreicht oder sind auch in ihrer neuen Heimat zur Taufe gezwungen worden, womit sie ihre Ländereien und ihr Leben hier für nichts und wieder nichts aufgegeben haben? Auch Deborahs Eltern sind ja aus diesem Grund zurückgekommen.«
»Und sie haben ihre Rückkehr trotz allem nicht bereut«, warf Deborah schüchtern ein.
Raschid nickte beipflichtend. »Nein, Flucht bringt uns nicht weiter!«
»Aber die Zwangstaufe … Mein Gott, wir können uns doch nicht taufen lassen!« Hilfesuchend sah Zahra ihren Bruder an, während sich in Chalidas Miene, von ihnen allen unbemerkt, ein banges Hoffen breitmachte …
Als Chalida Aaron am nächsten Tag im Stall traf, war es das erste Mal seit vielen, vielen Monaten, dass sie ihm nicht aus dem Weg ging, sondern stehen blieb, ihn ansah und ansetzte, um das Wort an ihn zu richten – aber dann senkte sie doch den Blick und eilte zu Barbakan weiter. Sie spürte, dass Aaron ihr nachsah, und als sie hörte, dass er ihr folgte, schoss ihr eine glühende Hitze ins Gesicht, und ihr Herz raste so sehr, dass sie kaum noch Luft
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