Das Geheimnis der Maurin
gehen, so wie Ihr mit Vater einfach mitgegangen seid?«
»Natürlich nicht!« Zahra schüttelte amüsiert den Kopf. »Du kommst aber auch auf Ideen! Außerdem könnte man das gar nicht miteinander vergleichen: Mein Vater wollte mich damals mit Ibrahim verheiraten – und du wirst mir gewiss recht geben, dass man Musheer keinesfalls mit diesem Scheusal vergleichen kann! Außerdem waren das ohnehin andere Zeiten.«
»Meint Ihr wirklich, dass lässt sich nur mit den Zeiten erklären?«, hakte Chalida nach. »Und ist es nicht manchmal so, dass Gefühle einfach stärker als alles andere sein können?«
Noch ehe Zahra antworten konnte, platzte Yayah ins Zimmer, das Gesicht feuerrot vor freudiger Aufregung.
»Mutter, Mutter, der Stallknecht sagt, ich soll Euch holen kommen. Afya wird jeden Moment fohlen, und Ihr wolltet doch sehen, wie das Fohlen auf die Welt kommt!«
Sofort erhob sich Zahra und folgte ihm in den Stall. Dass ihre pferdebegeisterte Tochter nicht mitkam, fiel ihr nicht auf, und noch viel weniger, welche Verzweiflung und Ratlosigkeit in deren jungem Gesicht zurückblieben.
Nicht nur in Chalida tobte es weiter – auch im Land blieb es unruhig, und schon im Herbst kam es wieder zu Unruhen. Diesmal gingen sie von den Alpujarras aus und breiteten sich schnell nach Süden und gen Westen aus. Die Aufstände erwiesen sich als besonders hartnäckig: Über den ganzen Winter und bis ins Frühjahr hinein zogen sie sich hin, doch Jaimes Plan schien aufzugehen: Sosehr Abdarrahman auch im Geiste und im Herzen mit den Aufständischen mitkämpfen mochte, so wenig war er bereit, seine junge Frau allein zu lassen, zumal sie guter Hoffnung war.
IX.
Seidenfarm
17 . November 1501
I m späten Herbst, einige Monate nach der glücklichen Geburt von Abdarrahmans Sohn, fühlte sich Zahra zunehmend matter. Vor allem morgens bekam sie kaum einen Bissen herunter, und sie verlor so viel Gewicht, dass es sie nicht verwunderte, als ihre Blutungen ausblieben. Da sich dies auch in den nächsten Wochen nicht wieder einspielte, wollte sie Tamu um Rat fragen. Sie fand sie in der kleinen Stube, in der sie ihre Kräuter trocknete und aufbewahrte.
»Ihr wisst nicht, was mit Euch los ist, stimmt’s?«, brummte die Alte, nachdem Zahra ihre eine Zeitlang schweigend beim Mörsern zugesehen hatte.
»Nicht so ganz, nein, zumal meine Beschwerden kein bisschen besser geworden sind.« Sie seufzte. »Wenn ich zu dem Ziehen in den Brüsten Hitzewallungen hätte, könnte ich das alles ja verstehen, aber ich habe keine – und auch diese seltsame Übelkeit passt nicht zu den typischen Frauenbeschwerden meines Alters. Hast du keinen Rat, was ich noch versuchen könnte?«
»Ich denke mal, in ein paar Wochen wird es Euch von ganz allein bessergehen, aber bis Ihr wieder rundherum die Alte seid, wird es wohl noch ein halbes Jährchen dauern!« Mit einem breiten Grinsen wandte die Alte Zahra den Kopf zu. »Und ich wette, es wird wieder ein Junge!«
Zahra brauchte Tage, bis sie Tamus Eröffnung verdaut hatte – und war jeden Tag weiter davon entfernt, sich zu freuen. Sie war gerade Großmutter geworden, Großmutter, ja … Aber noch einmal Mutter … und das in diesen Zeiten, in denen niemand sagen konnte, wie es für sie weitergehen würde … Der letzten Zwangstaufe und Zwangsausweisung waren sie knapp genug entkommen, und da sollte sie es wagen, noch einmal ein Kind zwischen diese beiden Religionen zu gebären, ohne auch nur verheiratet zu sein? Früher ja, da hatte sie den Mut dazu gehabt, aber da war sie jünger gewesen und hatte mehr Kraft gehabt. Und Illusionen.
Im Prinzip wusste Zahra, wie sie ein ungewolltes Kind aus dem Leib treiben konnte, allerdings hatte sie dies bisher erst ein Mal bei einer Patientin angewendet, und dies auch nur, weil die Mutter des Kindes die Schwangerschaft niemals überlebt hätte. Tagelang brütete Zahra über dem Gedanken, ihr Kind nicht auszutragen, und wiederum bewies die alte Berberin, dass ihre Wahrnehmungen noch lange nicht vom Alter getrübt waren, denn ohne dass Zahra auch nur ein Wort hatte verlauten lassen, sagte sie ihr auf den Kopf zu, was sie vorhatte. »Aber für eine Abtreibung braucht Ihr Hilfe«, zischte sie sie voller Ingrimm an. »Und ich wäre weit und breit die Einzige, die Ihr fragen könntet – und meine Antwort ist nein! Niemals, hört Ihr, niemals!«
Zuerst löste Tamu damit in Zahra vor allem Wut aus. Sie fühlte sich im Stich gelassen. Aber nachdem sie einmal akzeptiert
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