Das Geheimnis der Maurin
Während die Jungen alle in einem großen Raum schliefen, war sie alleine im Mädchenzimmer gewesen. Lautlos huschte Chalida zu ihrer Schlafstatt, die direkt neben Ranaas aufgebaut war, und ließ sich von Zahra mitsamt ihrem kleinen Hund zudecken, was diesem so sehr behagte, dass er ihr einmal quer übers Gesicht leckte. Während Zahra unwillig die Augenbrauen hob, begann Chalida, glücklich zu giggeln, und drückte den kleinen, dicken Kerl noch enger an sich.
»Seht Ihr, wie lieb er mich schon hat!«, flüsterte Chalida mit seligem Lächeln.
Zahra strich lächelnd über ihr schon zum Zopf geflochtenes Lockenhaar, das bei ihrer Rückkehr in der Tat verfilzt gewesen war, aber doch nicht so sehr, wie sie befürchtet hatte: Chalida selbst hatte sie in diesen Wochen immer wieder mit den Fingerchen zu entheddern versucht und sie nachts auch geflochten, so gut sie es eben vermocht hatte. Zahra war zutiefst beeindruckt davon, wie pflichtbewusst und selbständig ihre kleine Tochter war – und dass sie sich in dieser für sie gewiss unendlich schweren Zeit anscheinend nie aufgegeben, sondern tapfer nach vorn geblickt hatte.
»Mutter, warum feiert Ihr nicht Vater und Tamu?«, fragte Chalida jetzt noch einmal.
»Das Wichtigste ist doch, dass du jetzt endlich wieder bei uns bist«, erwiderte Zahra leise.
»Aber Vater hat mich zurückgeholt«, beharrte Chalida. »Er muss gefeiert werden – und Tamu und Raschid und all die anderen Männer!«
»Du und dein heißgeliebter Vater.« Zahra kniff ihr zärtlich in die Wange. »Gewiss hast du ihn am meisten von allen vermisst!«
»Aber Euch auch, Mutter, und alle anderen ebenso!«, erwiderte Chalida treuherzig und drückte sich eng an Zahra. »Und die bösen Männer sind jetzt wirklich ganz tot und können mich nie mehr von Euch wegholen?«
»Ja, das sind sie, mein Schatz, ganz, ganz tot, und niemand kann dich mehr mitnehmen! Nie-, nie-, niemand!« Sie kraulte Chalida am Kopf, was diese weit mehr als Schlaflieder liebte, und obwohl sich Zahra dagegen sträubte, musste sie dabei über ihre letzten Worte nachdenken – und je länger sie dies tat, desto kälter kroch ihr die Angst den Nacken hinauf, denn leider wusste sie nur zu gut, dass die Gefahr einer neuerlichen Entführung keineswegs gebannt war und Jaime den Hund Chalida gewiss auch aus diesem Grund geschenkt hatte: Selbst wenn der kleine Kerl noch lange niemanden beißen würde, so würde er zumindest schon bald anschlagen, wenn sich ein Fremder ins Haus zu schleichen versuchte – und nur deswegen ließ er es zu, dass Chalida den Hund ständig bei sich hatte. Da Pulgar und Sánchez tot waren, hatten sie nicht herausfinden können, warum und in wessen Auftrag Chalida entführt worden war, denn die beiden hatten ihre Männer nicht darin eingeweiht, wer ihr Auftraggeber war – zumindest hatten diese selbst dann nichts verraten, als Jaime und Raschid sie gehörig unter Druck gesetzt hatten. Alles, was sie aus ihnen hatten herauspressen können, war, dass es jemanden im Hintergrund gab und dass sich Sánchez und Pulgar in den letzten Tagen mehrfach mit ihm getroffen hatten. Danach hatten Jaime und Raschid die Männer Gonzalos Soldaten übergeben müssen.
Zahra bezweifelte, dass man im kastilischen Kerker noch mehr aus ihnen herausbringen würde, ja, sie bezweifelte sogar, dass man es auch nur versuchen würde: Schließlich hatten sie ja »nur« ein maurisches Kind entführt. Und ob die Sulamis ihren Besitz wiederbekamen oder nicht, war sicher auch kein Thema, das einem kastilischen Büttel den Schlaf raubte. Ja, auch über den Verbleib ihres Eigentums hatten Jaime und Raschid nichts herausfinden können. Aber weit schwerer wog für Zahra der Gedanke, dass der Anstifter noch einmal jemanden vorschicken könnte, um Chalida zu entführen. Sie blickte zum Fenster und hoffte, dass es hoch genug und das Mashrabiya-Gitter ausreichend stabil war, um nächtliche Eindringlinge abzuhalten. Außerdem wollte sie in den nächsten Tagen noch einmal die alte Najah aufsuchen. Sie musste wissen, ob die Wahrsagerin der Meinung war, dass jetzt zumindest die Bedrohung für Chalida gebannt war. Da fiel ihr ein, dass die alte Najah gemeint hatte, dass auch Zainab und sie selbst in Gefahr seien … und sie fragte sich, wie all dies zusammenhängen sollte. Wem hatten sie etwas getan, dass er sie dafür so sehr hasste? Und was genau wollte »er« eigentlich von ihnen? Sie ruinieren? Quälen? Strafen? Vernichten?
Zahra sah, dass Chalida
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