Das Geheimnis der Maurin
Begleiter knieten vor den Königen nieder und stellten sich dann hinter Seneor, ihren Wortführer. Ohne falsche Bescheidenheit setzte Seneor den Königen auseinander, in welch hohem Maße die kastilischen Juden die Christen schon seit Jahrzehnten unterstützten und auch zuvor schon immer unterstützt hatten, und erinnerte daran, dass sie nicht zuletzt dank ihrer großzügigen Finanzhilfen den Krieg gegen die Mauren überhaupt hatten führen können.
»Außerdem, meine geschätzten Majestäten«, fuhr Abravanel fort und strich sich über den langen, weißen Bart, »bitte ich Euch zu bedenken, dass wir Juden seit über fünfzehnhundert Jahren auf der Iberischen Halbinsel leben!
Sepharad
– das ist auch unsere Heimat, und wir haben Euch und Euren Vorgängern stets treu gedient, in Kriegen, im Handel, in der Diplomatie und bei Krankheiten. Niemals haben wir Euch in all den Jahrhunderten Anlass gegeben, Euch über uns zu beklagen, sondern sind Euch stets treue, ergebene Untertanen gewesen!«
»Treu und ergeben?«, donnerte da die Stimme Torquemadas über sie hinweg. »Und was ist mit Euren erst kürzlich aufgedeckten Greueltaten in La Guardia – diesem schändlichen Ritualmord, den Euresgleichen verübt haben?«
Seneor und Abravanel tauschten einen kurzen Blick und kamen offensichtlich überein, nicht auf Torquemadas Anschuldigungen einzugehen, was Jaime für äußerst klug hielt – denn damit hätten sie sich in eine ebenso unerquickliche wie für sie zwangsläufig schädliche Diskussion ziehen lassen. Stattdessen versuchte Abravanel, den christlichen Königen das Bleiberecht für die Juden in klingender Münze abzuringen, und nannte einen so hohen Geldbetrag, dass Jaime im ersten Moment glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Ihr Angebot entzündete in Fernandos Miene ein frohlockendes Leuchten. »Eure Offerte ist allerdings bedenkenswert«, meinte er und tauschte einen Blick mit seiner Gemahlin.
»Nun«, setzte diese nach einem Zögern an. »Natürlich wissen wir zu schätzen, was Ihr und Eure Glaubensbrüder für unser Land getan habt, und ich weiß, dass solche Zahlungen, wie Ihr sie anbietet, auch in anderen Ländern üblich sind. Wir werden also über Euer Angebot beraten.«
Jaime sah die wachsende Hoffnung in den Augen Abravanels und seiner Begleiter und wie sie sich dankbar vor der Königin verneigten. Da erhob sich Torquemada, holte eine Handvoll Silbermünzen aus seiner Geldkatze und warf sie mit Blick zu den christlichen Königen mitten in den Saal. »Dreißig Silberlinge waren es damals, für die unser Herr verraten wurde. Und diesmal? Wie hoch ist der Preis diesmal, für den Er verraten und an die Juden verkauft werden soll? Wie hoch?«
Von Frage zu Frage war Torquemadas Stimme lauter und schneidender geworden, so dass Jaime unwillkürlich einen Schritt zurücktrat – und den jüdischen Vertretern das Blut aus den Gesichtern wich. Auch die Königin zuckte zusammen. Nach einer bedeutungsschwangeren Pause zitierte Torquemada mit dröhnender Stimme die Bibelstelle: »Wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre!«
»Ehrwürdiger Vater, so beruhigt Euch doch, immerhin haben wir bisher lediglich überlegt …«
»Überlegt!«, fiel Torquemada der Königin ins Wort, und sicher gab es keinen Zweiten am Hof, der sich dies hätte erlauben dürfen. »Man überlegt nicht, ob man Jesus verrät!« Mit wehender Kutte stürmte er aus dem Saal.
Nach seinem Abgang herrschte betretenes Schweigen. Schließlich räusperte sich Fernando und erklärte Seneor und Abravanel, dass man sie in den nächsten Tagen wissen lasse, wie man sich entschieden habe. Die jüdischen Abgesandten verbeugten sich und verließen mit erschütterten Mienen den Saal.
Drei Tage waren seither vergangen, Tage, in denen die Juden des ganzen Landes inständig dafür gebetet hatten, dass Seneor und Abravanel mit ihrem Vorstoß bei den Königen doch etwas bewirkt hatten. Auch im Hause der Sulamis gab es kaum ein anderes Thema. Um die Stimmung ein wenig aufzuheitern, hatte Zahra vorgeschlagen, an diesem Abend endlich einmal draußen im Patio zu essen – warm genug war es dafür seit Wochen. Selbst die Diener schien ihr Vorschlag zu beflügeln: Maria und Khadidscha kehrten am Morgen kichernd vom Markt zurück und zeigten den Damen des Hauses aufgeregt ihre Einkäufe – eine feine Ledertischdecke für den niedrigen Steintisch im Innenhof, herrlich weiche Kissen für
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