Das Geheimnis der Maurin
nahm an, dass sie trotz allem einen gewissen Groll gegen ihren Mann hegte, der das Unabwendbare nicht hatte abwenden können. Selbst die Tatsache, dass Raschid sie noch mehrmals gedrängt hatte, mit ihm das Land zu verlassen, schien ihn nicht zu entschuldigen.
Am Tag der Taufe hatte Zahra Deborah angeboten, sie zu begleiten, zumal Raschid nicht mitkommen konnte. Am frühen Morgen ging Deborah noch ein letztes Mal in die Synagoge, deren Besuch sie nach der Taufe nicht mehr würde wagen können. Als sie zwei Stunden später zurückkam, war es fast schon Zeit, zur Kirche zu gehen. Deborah wirkte erstaunlich gefasst und erklärte Zahra auch, wieso: »Der Rabbi hat uns versichert, dass wir uns nach der Zwangstaufe keinesfalls verdammt fühlen müssen. Immerhin lassen wir sie nur gegen unsere tiefste Überzeugung und unter Zwang über uns ergehen. Er sagt, der Ewige würde es uns nachsehen, vor allem, wenn wir bei der Taufe nicht mit dem Herzen dabei sind, sondern weiter fest an unserem alten Glauben festhalten!«
Zahra wusste, sie hätte darauf erwidern müssen, dass sie sich aber damit in Gefahr brächte, eines Tages als Ketzerin angezeigt zu werden, aber zugleich war ihr bewusst, dass sie an ihrer Stelle nicht anders gedacht hätte, und so ließ sie ihr diesen ohnehin so mageren Trost.
Dann war es endgültig Zeit, das Haus zu verlassen. Nicht nur Deborah, sondern auch viele andere Juden waren zur heutigen Taufe einbestellt worden, so dass genau wie in den vergangenen Tagen und überall im kastilischen Königreich wahre Massen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern der Kirche entgegenströmten. Als sie das Haus verließen, läutete die Kirchenglocke zur Messe, und mitten in das Läuten hinein erklang die Stimme des Muezzins zum Mittagsgebet, zum
zuhr.
Das monotone, drängende Tönen der Glocken und das einschmeichelnde, lockende Rufen des Muezzins prallten in der Stille der Gassen wie Schwerter aufeinander und riefen in Zahra ein Gefühl von Fremdheit und Beklemmung hervor. Sie fragte sich, wie oft die Kirchenglocken und die Stimme des Muezzins in den nächsten Jahren noch diesen Wettstreit miteinander führen würden – und wer ihn am Ende gewinnen mochte …
Auf dem Weg stießen einige von Deborahs jüdischen Freundinnen zu ihnen. Alle wirkten zutiefst verunsichert. Nachdem Deborah einen einvernehmlichen Blick mit ihren Glaubensbrüdern gewechselt hatte, begann sie das
Schma Jisrael
zu sprechen, ein Gebet, das Zahra mittlerweile vertraut war. Sie wusste, dass die Juden es dann beteten, wenn sie sich in größter Not fühlten und ihrem Gott besonders nah sein wollten. Eine Jüdin nach der anderen stimmte ein: »
Schma Jisrael, adonaj elohenu, adonaj echad
– Höre, Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig …« – und auch wenn es für Zahra keinen Gott gab außer Allah, spürte sie doch die Kraft und den Zusammenhalt, den dieses Gebet unter den Leidgeprüften beschwor, und sah, wie ihre Blicke trotz all dem, was ihnen heute bevorstand, fester und sogar ein kleines bisschen hoffnungsvoller wurden.
An der Kirche musste Zahra zurückbleiben. Sie umarmte ihre Freundin noch einmal herzlich und sah ihr nach, wie sie mit ihren jüdischen Glaubensbrüdern und -schwestern in der Kirche verschwand. Immer neue Gruppen von Juden kamen hinzu, so dass es Zahra schwindelte – und das noch mehr, als sie an die Zahlen der auswandernden Juden dachte, die ihr Bruder ihr genannt hatte. All diese vielen, vielen Menschen … Über welch unglaubliche Macht verfügten diese Christen, um über solche Menschenmassen bestimmen zu können? Und hatte es für die Juden tatsächlich keine Möglichkeit gegeben, sich gegen die Ausweisung und die Zwangstaufe zu wehren? Zahra konnte sich nicht vorstellen, dass die Mauren kampflos aufgegeben hätten. Aber vielleicht, sagte sie sich, war der Unterschied einfach auch der, dass die Juden hier schon immer nur Geduldete, aber nie, wie die Mauren, auch über viele Jahrhunderte die Herren des Landes gewesen waren. Von der frühesten Zeit an waren die Juden vom Wohlwollen der Herrscher Granadas abhängig gewesen und hatten von daher auch kein altes Recht, auf das sie sich berufen konnten. Aber gewöhnte man sich denn an Ungerechtigkeit, nur weil sie einem wieder und wieder widerfuhr? Und konnte man sie einfach immer weiter und weiter ertragen?
Weit über vier Stunden mussten Zubair und Zahra warten, bis die Messe und die anschließende feierliche Taufe zu Ende
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