Das Geheimnis der Maurin
auf dass die Erde uns dann lebendig verschlucke, und nachdem wir dieses Leben verlassen haben, sollen wir dem ewigen Feuer übergeben werden, in der Gemeinschaft mit dem Teufel und seinen Engeln! Oh Gott, Zahra, nachdem wir all dies geschworen haben, sind wir doch so oder so verdammt!« Verzweifelt barg Deborah das Gesicht erneut in den Händen.
»Aber nein, das seid ihr nicht, Deborah! Euch blieb gar nichts anderes übrig, als diese Sätze zu wiederholen!«
»Aber ein Schwur ist doch ein Schwur!«, schluchzte Deborah weiter.
Zahra zog die Freundin in ihre Arme und biss die Zähne zusammen, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen.
Zahra wusste, dass die Sicherheitsbestimmungen in der Alhambra in diesen Tagen wegen der Judentaufen erhöht worden waren, daher wunderte es sie nicht, dass Jaime auch an diesem Abend nicht zum Abendessen erschien. Während sich die anderen trotz der stickigen Hitze, die auch die schattigsten Räume im Haus nicht mehr verschonte, direkt nach Sonnenuntergang in ihre Zimmer zurückzogen, blieb sie im Patio zurück, um auf ihn zu warten.
Als sie ihn endlich im Schein der beiden Windlichter in den Patio treten sah, eilte sie auf ihn zu und presste sich an ihn.
»Ich habe den ganzen Tag an euch denken müssen«, sagte Jaime, küsste sie und zog sie noch enger an sich heran. »Gewiss war es auch für dich ganz schrecklich …«
Zahra nickte, drückte ihren Kopf einen Moment lang noch fester an ihn, geradezu, als könne sie so einen Teil des Drucks, der heute auf ihr gelastet hatte, abgeben, und sah dann zu ihm auf. »Wenn die Christen sich jemals einfallen lassen sollten, mit uns das Gleiche wie mit den Juden zu versuchen, kann ich dir schon jetzt versichern, dass sie mit mehr Gegenwehr zu rechnen haben. Niemals lasse ich mir die Schwüre abringen, die Deborah heute aufgezwungen worden sind, und ich bin mir sicher, dass meine Glaubensbrüder nicht anders denken.«
»Aber Zahra, für die Muslime besteht keine Gefahr!« Er wollte sie mit sich zu der Sitzbank ziehen, doch Zahra ließ seine Hand los und blieb allein in der Mitte des Patios zurück. Jaime sah sie fragend an, zuckte dann mit den Achseln, setzte sich und zerrte sich ächzend die Stiefel von den Füßen.
»Warum sagst du immer, für uns bestünde keine Gefahr?« Unwillkürlich zog Zahra die Augenbrauen zusammen. »Es wäre nicht das erste Mal, dass dein König sein Wort bricht!«
»Warum hört es sich, wenn du ›dein König‹ sagst, immer so an, als hätte ich ihn erst dazu gemacht?«, grummelte Jaime, winkte dann aber ab und ließ sich gegen die Wand sinken. »Komm, Zahra, lass uns nicht streiten. Ich bin hundemüde, und zu all dem muss ich morgen auch noch weg – und zwar gleich für etliche Tage …«
»Weg?« Zahra sah ihn erstaunt an. »Aber warum das denn? Und wohin?«
»Ich habe am Nachmittag eine Nachricht von Talavera erhalten. Er möchte, dass ich ihm entgegenreite.«
»Und wozu? Er hat doch schon so viele andere Leibwächter bei sich …«
Jaime hob die Achseln. »Er hat keinen Grund genannt.«
Mit einem Mal wurde Zahra von einer unerklärlichen Unruhe gepackt. Ihr kamen die Worte Najahs in den Sinn. Vor ein paar Wochen war sie noch einmal von der alten Wahrsagerin empfangen worden, hatte aber nur äußerst nebulöse Auskünfte erhalten: »Zwischen dir, deinem Mann, deiner Schwester und deiner kleinen Tochter bestehen sehr enge Bande. Achte darauf, dass die eine nicht die andere ins Dunkel lockt, dann wird niemandem von euch etwas geschehen«, hatte sie gemeint, und dann noch hinzugefügt: »Vor allem der Mann an deiner Seite kann unvermittelt in Gefahr geraten, allerdings nur, wenn er seine Augen allzu lange von dir nimmt.«
… seine Augen allzu lange von dir nimmt …
Bis heute hatte Zahra sich auf diese Worte ebenso wenig einen Reim machen können wie auf dieses »ins Dunkel lockt«, aber vor dem Hintergrund der nun bevorstehenden Reise schien es ihr auf einmal, als könne Najah genau das gemeint haben: eine Reise, die Jaime mehr als nur einen Tag von ihr wegbrachte …
seine Augen allzu lange von dir nimmt
… Ja, sicher! Was sollte es sonst bedeuten? Sie strich sich über den Hals. »Und was ist, Jaime, wenn ich dich bitte, nicht zu gehen?«
»Ich wüsste nicht, warum du das tun solltest …«
»Weil … weil ich Angst habe!«
»Deine Unruhe ist verständlich, aber sie rührt nur von Deborahs Taufe her – mir droht keine Gefahr, Zahra, ganz gewiss nicht! Um euch mache ich mir
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