Das Geheimnis der Maurin
gewickelten Bündel, das die beiden in den Raum schleppten. Sie legten es im Zimmer ab und gingen wieder, ohne ein Wort zu sagen. Misstrauisch musterte Zahra das reglose Etwas zu ihren Füßen – bis sie am oberen Ende ein Büschel aschblonder Haare entdeckte. Mit einem gequälten Aufschrei sackte sie auf die Knie, schlug mit zitternden Fingern die Decke auf – und blickte in das totenbleiche Gesicht ihrer Schwester.
»Oh nein, Zainab, meine kleine Zainab!« Aufschluchzend sank Zahra auf ihre Schwester, merkte dann, dass sie nicht kalt und steif, sondern warm und weich war, fühlte am Hals ihren Puls und weinte noch mehr, allerdings vor Erleichterung.
»Zainab, was hast du, warum sagst du nichts?« Zahra konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erst jetzt bemerkte sie die breiten Schrammen an Zainabs Wange und die großflächige Wunde über dem Ohr. Als sie die Decke weiter öffnete, sah sie, dass ihre Tunika mehrfach eingerissen war und sie auch an den Armen erhebliche Schürfwunden davongetragen hatte. Ohne Zweifel hatte sich ihre Schwester heftig gegen ihre Entführer gewehrt. Allmählich ruhiger werdend, untersuchte Zahra sie weiter, doch die einzige Verletzung, die ihr Sorgen bereitete, blieb die Wunde über dem Ohr. Sie wusste, dass sie hätte versorgt werden müssen, aber dazu fehlten ihr die Mittel. Zahra erhob sich, befeuchtete einen Zipfel ihrer Tunika mit Wasser und machte die Wunde zumindest sauber. Dadurch kam Zainab zu sich und stöhnte, brauchte aber noch etliche Minuten, bis sie so klar war, dass sie Zahra erkannte. Als Zahra ihr sagte, in wessen Gewalt sie waren, starrte sie sie fassungslos an.
»Nein, nicht Ibrahim, nicht er!«, krächzte sie tonlos und schob sich panisch weiter und weiter zurück, geradezu, als stünde Ibrahim schon vor ihr. Zahra sah, wie sie zu zittern begann, krabbelte ihr nach und zog sie in die Arme. Zu gern hätte sie sie getröstet und ihr Mut zugesprochen, aber sie fand keine Worte. Allein die Vorstellung, dass Ibrahim auch seine letzte Drohung wahr machen und sich Chalida zurückholen könnte, trieb sie schier zur Verzweiflung.
Zainab erzählte ihr, wie Shihab sie am Morgen aus dem Haus gelockt hatte. »Er meinte, Maria sei bei ihm und würde schrecklich weinen, und ob ich nicht mitkommen könne, weil er nicht wisse, was sie habe und wie er sie trösten solle. Und kaum war ich in sein Haus getreten, sind er und ein weiterer Mann über mich hergefallen.« Sie fuhr sich über die Stirn. »Oh Zahra, wir müssen hier rauskommen. Lieber sterbe ich, als mich von Ibrahim auch nur noch einmal anfassen zu lassen!«
Das Grauen in den Augen ihrer Schwester machte Zahra nicht weniger beklommen als die Panik in ihrer Stimme. Erneut zog sie sie an sich und murmelte, dass ihnen schon etwas einfallen würde. Dabei schwang weit mehr Angst als Überzeugung in ihrer Stimme mit.
Als das nächste Mal Schritte zu hören waren, saßen Zahra und Zainab am Tisch. Mit angstvoll geweiteten Augen griff Zainab nach dem Arm ihrer Schwester und umkrallte ihn, als Ibrahim ins Zimmer trat.
Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Da haben wir das Schwesternpärchen ja glücklich beieinander! Und, Zahra, habe ich Euch zu viel versprochen?«
Sanft streifte Zahra den Arm ihrer Schwester ab, erhob sich, trat hinter ihren Stuhl und umklammerte seine Rückenlehne so fest, dass die Knöchel ihrer Finger weiß hervortraten. Ibrahim kniff die Augen zusammen. »Wagt das ja nicht, meine Schöne. Da draußen in der Küche sitzen die Burschen, die Eure Schwester hergebracht haben, und bei dem geringsten Zwischenfall hier brechen sie Euch alle Knochen!«
»Was habt Ihr vor?«, zischte Zahra. »Ihr bildet Euch doch nicht allen Ernstes ein, uns jetzt über Jahre festhalten zu können? Man wird uns finden, irgendjemand wird uns finden, und wenn es nicht mein Bruder ist, dann Jaimes Bruder, und Ihr wisst, was Euch dann blüht!«
»Selbst wenn dem so wäre – das wäre es mir wert. Außerdem wird das nicht geschehen, denn hier findet Euch niemand, niemand, hört Ihr!«
Er warf ihr zwei kurze, verschieden lange Holzstöckchen zu. »Hier, damit könnt Ihr auslosen, an wem von Euch beiden ich heute meine Lust stille. Und morgen ist dann die andere dran.«
Zahra, welche die beiden Holzstücke reflexartig aufgefangen hatte, schleuderte sie ihm ins Gesicht. »Ihr seid ein Schwein, nichts als ein mieses Stück Dreck!«
»Ihr wollt nicht losen? Nun, dann fange ich doch mit der an, die das Maul am weitesten
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