Das Geheimnis der Maurin
wie … wie hast du das nur aushalten können?«, flüsterte Zahra.
»Ich denke, wegen Hayat …« Sie machte eine Pause. »Wenn du wüsstest, wie oft ich in der Zeit an sie habe denken müssen – und immer, wenn er über mich herfiel, sagte ich mir, das sei die Strafe, weil ich nie Verständnis für sie und ihre Lage habe aufbringen können.«
Hayat war ihrer beider Halbschwester, eine Tochter ihres Vaters aus dessen erster Ehe. Zahra hatte Hayat nahegestanden und damals alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihr zu helfen, von ihrem Ehemann wegzukommen, bei dem sie die Hölle erlebt hatte – was Zainab damals empört hatte. Zahra strich ihrer Schwester über die Schulter. »Aber Zainab – das ist doch Unsinn! Niemand will dich strafen! Außerdem wusstest du es einfach nicht besser; du warst noch so jung.« Sie drückte ihr nachdrücklich die Hand. »Und jetzt müssen wir zusehen, dass wir hier rauskommen. Irgendeine Möglichkeit muss es geben! Er wird uns sonst zerstören, und wenn er wirklich Chalida in die Finger bekommt … Zainab, dann … dann …«
Nun war es Zainab, die Zahra hielt, und ihrer beider Tränen vermischten sich ebenso wie ihre Angst und Verzweiflung.
Erst sechs Mahlzeiten später erschien Ibrahim wieder bei ihnen. Er wirkte krank, seine Augen glänzten fiebrig, und er blieb nicht lange; Zahra fragte sich, warum er überhaupt gekommen war. Er sagte kein Wort, sah sie nur an und verließ sie dann auch schon wieder. Danach beteten Zahra und Zainab, dass er an diesem Fieber elendig zugrunde gehen möge.
Danach kam niemand mehr. Und irgendwann waren so viele Stunden vergangen, dass ihre Lampe erlosch. Erschrocken nahmen sie sich bei den Händen.
»Was, wenn Ibrahim stirbt – und es seinen beiden Gefolgsleuten egal ist, dass wir hier sind, oder sie gar nicht wissen, dass Ibrahim sich nicht mehr um uns kümmern kann?«, hauchte Zainab in die Dunkelheit hinein.
Zahra drückte die Hand ihrer Schwester, erhob sich und tastete sich zur Tür vor. »Komm, lass uns versuchen, ob wir die Tür nicht doch irgendwie aufbekommen. Wenn niemand hier ist, müssen wir ja auch keine Angst haben, Krach zu machen – und wenn doch jemand hier ist, können wir ihn so zumindest auf uns aufmerksam machen.«
Zainab folgte ihr eilig, doch sosehr sie an der schweren, metallbeschlagenen Holztür auch rissen, drückten und rüttelten – sie bewegte sich keinen Millimeter, und auch auf ihre Hilferufe hin kam niemand, um nach ihnen zu sehen. Schließlich sanken sie erschöpft zu Boden. Stumm saßen sie da, starrten in die Schwärze des Raumes und würgten an ihren Tränen.
Am Tag darauf – zumindest nahmen sie an, dass inzwischen ein Tag verstrichen war – geschah das nächste Unglück. Seit sie Zweifel daran bekommen hatten, dass jemand bald wieder nach ihnen sehen würde, hatten sie sich das wenige Wasser, das ihnen noch geblieben war, streng eingeteilt. Zahra, die sich vorwarf, ihre Schwester in all dies hineingezogen zu haben, trank kaum noch einen Tropfen.
Als ihr Durst jedoch überhandnahm, kroch Zainab in der Dunkelheit zum Tisch, tastete nach der Wasserkaraffe – und auf einmal ertönte ein dumpfer Ton.
»Oh nein, nein!«, schrie Zainab auf, versuchte, die Karaffe zu fassen und wenigstens noch einen Rest Wasser zu retten, war dabei aber so ungeschickt, dass die Kanne nun ganz zu Boden ging. Aufschluchzend sank Zainab auf die Knie, tastete auf dem Lehmboden nach dem versickernden Wasser und weinte noch heftiger. »Oh Zahra, ich … Es tut mir so leid, das wollte ich nicht. Das ganze Wasser … Oh Gott, jetzt werden wir sterben!«
Auch Zahra ergriff Panik, als sie begriff, welches Missgeschick ihrer Schwester unterlaufen war. Schon allein das Wissen darum, dass sie nichts mehr zu trinken hatten, machte, dass auch sie brennenden Durst verspürte. Sie kroch zu ihrer Schwester, suchte die Pfütze, schleckte sich jeden Tropfen, ganz gleich, wie lehmig er schmeckte, von den Fingern – und hatte das Gefühl, nur noch durstiger zu werden. Als endgültig kein bisschen Nass mehr zu finden war, krabbelte sie zur Tür ihres Gefängnisses weiter und riss und rüttelte schreiend an ihr. Nichts geschah. Schließlich trommelte Zahra noch ein letztes Mal heulend gegen die Tür und sank aufschluchzend zu Boden. Auch Zainab weinte und rief plötzlich mit unnatürlich heller Stimme: »Ich … Zahra, mein Gott … Ich … ich halte das nicht länger aus! Nicht diesen Durst, nicht diesen Durst! Ich
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