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Das Geheimnis der Maurin

Das Geheimnis der Maurin

Titel: Das Geheimnis der Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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nicht ständig vor Augen haben musste, konnte sie sich eher damit abfinden, dass sowohl ihr Bruder als auch Jaime weiterhin Talavera dienten.
    Inzwischen war Abdarrahman zwölf. Ihr Ältester hatte sich zu einem stolzen und aufrechten Knaben mit den markanten Gesichtszügen seines Vaters und dem geraden, kämpferischen Blick seiner Mutter entwickelt. Noch immer fühlte er sich für Yayah verantwortlich, der in sein achtes Jahr ging und der von seiner schweren Verletzung am Tag des Überfalls außer der langen, wulstigen Narbe auch eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Arms zurückbehalten hatte. Doch kein Kind, weder auf den umliegenden Farmen noch in Granada, wo inzwischen auch er regelmäßig zum Koranunterricht ging, hätte je gewagt, ihn deswegen zu hänseln. Jeder wusste, dass er es dann sofort mit Abdarrahman zu tun bekommen hätte, vor dem selbst Jungen, die um einiges älter und größer waren, einen gehörigen Respekt hatten.
    Auch mit Chalidas Entwicklung war Zahra hochzufrieden. Die Zehnjährige war noch immer so ernsthaft und wissbegierig wie früher und derzeit besonders stolz darauf, dass ihre Brust zu knospen begann – was bislang allerdings einzig sie wahrnahm. Nicht nur Jaime, sondern die ganze Familie hielt stets ein wachsames Auge auf sie, geradezu, als hätte trotz Ibrahims Tod niemand von ihnen je den Tag vergessen können, an dem dessen Männer das Mädchen entführt hatten. Trotz allem Umhegt- und Umsorgtwerdens war Chalida ein mutiges, fast waghalsiges Mädchen. In diesem Sommer hatte sie ihren großen Bruder schon drei Mal bei den Pferdewettrennen schlagen können, die sie heimlich hinter der Farm austrugen, und auch wenn Abdarrahman behauptete, dass dies nur an Barbakan und nicht an den Reitkünsten seiner Schwester lag, musste er ihr doch zumindest dafür Achtung zollen, dass sie den Hengst, der sich sonst nur von ihrem Vater bändigen ließ, überhaupt zu reiten vermochte. Auch ein Ehemann war inzwischen für sie bestimmt, ein kluger, junger Mann von angenehmem Äußerem, der Sohn eines alten Freundes von Raschid. Allerdings sprachen Zahra und Raschid meist nur unter vier Augen über ihn, weil diese Heirat für Jaime ein ständiges Reizthema war. Wäre es nach ihm gegangen, wäre zumindest Chalida getauft und später mit einem Christen verheiratet worden, denn allein die Tatsache, dass die Jungen weiter in die Moschee statt in die Kirche gingen, lag ihm von Jahr zu Jahr schwerer im Magen. Immerhin besuchte Chalida bisweilen mit ihm den Gottesdienst. Sie selbst hatte ihn vor einiger Zeit darum gebeten, weil sie wissen wollte, was ihr Vater dort tat und wie es überhaupt in einer Kirche aussah – und natürlich hielten sie beide diese Besuche vor den anderen streng geheim. Sowohl Chalida als auch Jaime war klar, dass Zahra und Raschid sie vierteilen würden, sollten sie ihnen je auf die Schliche kommen.
    Leider lebte Zainab nicht mehr bei ihnen. Genau wie Mahdi vor fünf Jahren war nun auch sie zur Schwester ihres Vaters nach Fez gezogen. Seither waren von ihr etliche begeisterte Briefe eingetroffen, auch Mahdi schrieb nun regelmäßiger, und Zainab hatte dank ihrer Tante überdies einen Mann kennengelernt, den sie im nächsten Jahr heiraten wollte, und schien so glücklich wie noch nie in ihrem Leben zu sein.
     
    Seit einigen Tagen herrschte freudige Anspannung im Hause as-Sulami: Man erwartete Deborahs Eltern zusammen mit Deborahs jüngster Schwester und einem ebenfalls jüdischen Jungen in Abdarrahmans Alter, den Deborahs Eltern aufgenommen hatten, nachdem dessen Familie in einem Pogrom ums Leben gekommen war. Deborahs Eltern hatten beschlossen, wieder nach Kastilien zurückzukehren. Seit der portugiesische König Manuel um die Hand der kastilischen Infantin Isabel angehalten hatte, stand er, was die Juden betraf, den Katholischen Königen gegenüber unter Zugzwang: Diese wollten einer Heirat nämlich nur dann zustimmen, wenn er endlich »entschlossen« gegen die »Rattenfänger«, »Brunnenvergifter« und »Mörder unseres Gottessohnes« vorging, wie Isabel sich ausgedrückt hatte – und unter »entschlossen« verstand sie nicht mehr und nicht weniger, als dass Manuel die in Portugal lebenden Juden ebenso gründlich vertrieb – oder taufte –, wie sie dies in Kastilien getan hatte. Da Manuel nicht auf die hervorragenden jüdischen Handwerker, Kaufleute, Bankiers und Diplomaten, die aus Spanien zu ihm geflohen waren, verzichten wollte, griff er direkt zum Mittel der

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