Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
nicht festgehalten hätte.
Nach der allgemeinen Aufregung wurde eine Pause verkündet. Die Ritter verbeugten sich vor der Ehrentribüne, und einige Spielleute kamen mit ihren Instrumenten, Lauten, Trommeln und Sackpfeifen auf den Platz, um die Leute mit ihren Liedern zu unterhalten. Pferdeknechte kümmerten sich um die versprengten Rösser, die eingefangen wurden, und allmählich lösten sich die Zuschauerränge auf. Auf der Ehrentribüne reichten Pagen Wein und Schüsseln mit Brot und Fleisch. Überall wurde angeregt über die eben gesehene Darbietung diskutiert, viele Leute stellten sich an eine der zahlreichen Feldküchen an, wo es Essen und Bier gab.
Bruder Thomas blieb bei Anna.
»Was war denn los mit Euch, Medica?«, wollte er wissen. »Könnt Ihr auf einmal kein Blut mehr sehen?«
Anna schüttelte den Kopf und rang sich zu einem gequälten Lächeln durch.
»Wahrscheinlich habe ich einfach zu wenig gegessen«, sagte sie schwach.
Bruder Thomas griff sofort in seine Tasche, holte Brot und sein Messer hervor und schnitt ein Stück für Anna ab.
»Danke«, sagte sie und kaute lustlos darauf herum. »Ich muss ein paar Schritte gehen, das wird mir guttun«, meinte sie dann und ließ Bruder Thomas einfach stehen. Zielsicher steuerte Anna auf die Ansammlung der Zelte zu, wo die Ritter untergebracht waren. Sie hatte ihre Kapuze übergezogen, und sollte sie jemand nach ihrem Begehr fragen, hatte sie für alle Fälle den Freibrief des Grafen bei sich, der ihr als Medica erlaubte, hinzugehen, wo es ihr beliebte und wo sie gebraucht wurde. Zwischen den Zelten ging es geschäftig zu. Die vom anstrengenden Kampf erschöpften Ritter ruhten sich aus oder waren noch damit beschäftigt, sich mit Hilfe ihrer Knappen und Knechte von den einengenden Kettenhemden und Rüstungen zu befreien. Der eine oder andere hatte sich doch verletzt und ließ sich vom gräflichen Feldscher versorgen.
Plötzlich verlangsamte Anna ihre Schritte. Gerade noch entdeckte sie Chassim, wie er, mit ein paar Tüchern in der Hand, an dem kleinen Bach entlang in Richtung Waldrand ging, und folgte ihm mit großem Abstand.
Am Waldrand, hinter einer uneinsehbaren Bachbiegung, hatte Chassim sich sein Hemd ausgezogen und stand mit nacktem Oberkörper bis zu den Knien im Wasser, wo er sich erfrischte und das künstliche Blut abwusch.
Anna war vorsichtig herangekommen und schaute sich um. Niemand war in der Nähe. Sie blieb in gebührender Entfernung vom Bach stehen und war unsicher, ob sie sich bemerkbar machen sollte oder nicht.
Aber Chassim hatte sie in dem Augenblick schon erkannt und winkte ihr zu, als sie sich gerade wegdrehen wollte.
»Halt!«, rief er, »halt! Nicht davonlaufen, Medica!«
Sie drehte Chassim den Rücken zu, blieb aber stehen. »Ich wollte nur sehen, wie Ihr Eure Wiederauferstehung von den Toten überstanden habt und ob Ihr vielleicht die Hilfe einer Medica in Anspruch nehmen wollt«, sagte sie, das Gesicht noch immer abgewandt.
»Ihr habt Euch also Sorgen um mich gemacht?«, fragte er fröhlich.
»Nur aus der Sicht einer Medica«, antwortete sie.
»Nun, dann will ich Eure Hilfe gern in Anspruch nehmen.«
Anna drehte sich zu Chassim um. Er war aus dem Bach gekommen und hatte sich eines der Tücher, die im Gras lagen, um die Schultern geschlungen. Mit dem zweiten rieb er sich die Haare trocken.
»Ihr blutet ja wirklich!«, rief sie besorgt aus, als sie die fingerlange Schnittwunde an seinem Oberarm bemerkte.
»Oh, das ist nichts. Nur ein Kratzer«, meinte er.
»Lasst mich mal sehen«, sagte sie und machte einen Schritt auf ihn zu. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie Chassim mit seinen wirr vom Kopf stehenden Haaren und dem muskulösen, nackten Oberkörper, auf dem noch einige Wassertropfen glitzerten, näher kam.
»Ihr habt mir ganz schön Angst eingejagt«, erklärte sie.
Chassim zuckte mit den Schultern: »Ich habe Euch vorgewarnt.«
Anna untersuchte seine Verletzung. »Ihr habt recht, das ist nicht weiter schlimm und muss nicht genäht werden«, sagte sie, nahm ein Tuch vom Boden auf, riss mit ihren kräftigen Händen das Linnen in handbreite Streifen und band es ihm stramm um seinen Oberarm. »Ein fester Verband dürfte genügen.«
»Nähen?«, fragte Chassim erstaunt. »Was meint Ihr mit Nähen?«
»Größere Wunden vernähe ich mit Nadel und Garn, das verheilt besser.«
»Wie bei meiner Schwester?«
»Ja.«
»Dann habe ich ja wirklich noch mal Glück gehabt.«
»Ja, das habt Ihr«, antwortete Anna und
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