Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Schreck seinen Becher fallen lassen, weil er sich zu hastig nach der Stimme umdrehte. Ein paar Tropfen Wein spritzten auf sein blütenweißes Chorhemd und hinterließen ein rotes Muster.
»Eminenz«, sagte der Burgkaplan verdattert, »verzeiht mir, ich hatte Euch nicht gesehen.«
In der entfernten, im Dunkeln liegenden Ecke der Sakristei saß der Erzbischof auf einem gepolsterten Hocker. Sein Gesicht lag im Schatten, aber der Burgkaplan hatte ihn natürlich sofort an seiner knarrenden Stimme erkannt. Die rechte, beringte Hand des Erzbischofs tauchte aus dem Schatten auf und hielt ihm auffordernd einen leeren Becher hin.
»Nun macht schon, Eure Messe hat sich doch allzulang hingezogen in der Hitze, mich dürstet!«
Der Burgkaplan beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, während seine Gedanken fieberhaft um die Frage kreisten, ob es Anlass zur Kritik an seinen liturgischen Fähigkeiten gab, der den Erzbischof dazu gebracht haben könnte, ihn unter vier Augen sprechen zu wollen.
Konrad von Hochstaden nahm einen großen Schluck Wein, der ihm anscheinend mundete, und sah dem Burgkaplan mit seinen stechenden Augen ins Gesicht. »Was wisst Ihr über diese Medica, die sich hier in Oppenheim herumtreibt?«
»Anna Ahrweiler? Sie ist jung, zu jung für eine Medica. Außerdem ist sie anmaßend und rebellisch und steht im Ruf, eine Wunderheilerin zu sein.«
»Seit wann ist sie hier?«
»Sie kam eines Tages mit dem jüdischen Medicus in die Stadt. Das war kurz vor der Niederkunft der Gräfin, also vor fast einem halben Jahr. Angeblich hat sie bei einem Verwandten des Medicus in Nürnberg ihre Ausbildung erhalten. Das hat sie jedenfalls mir gegenüber behauptet.«
»Glaubt Ihr das?«
»Mit Verlaub: nein.«
»Warum nicht?«
»Sie ist eine schlechte, wenn auch freche Lügnerin.«
»Was glaubt Ihr dann? Was ist die Wahrheit?«
»Ich glaube, sie ist eine Hexe und treibt unter dem Deckmantel einer Medica ihr Unwesen.«
»Das ist eine schwere Anschuldigung. Habt Ihr Beweise?«
»Sie hat ein grünes und ein braunes Auge.«
Der Erzbischof zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: Na und?
Der Burgkaplan fuhr fort: »Euer Neffe, Eminenz, Gero von Hochstaden, meint sie von früher zu kennen. Er hat gesehen, wie sie in ihrer ehemaligen Gestalt als Bruder Marian ertrunken ist. Und dann muss sie dieser jüdische Medicus irgendwie hierher gebracht haben. Seit sie in Oppenheim ist, gab es einige untrügliche Anzeichen für die Ankunft eines Abgesandten der Hölle, Eure Eminenz.«
»Als da wären?«
»Es war wie die biblischen Plagen über Ägyptenland im 2. Buch Mose. An dem Tag, als diese Anna Ahrweiler mit dem Medicus in Oppenheim eintraf, kam es aus heiterem Himmel zu einer Verkettung von Unfällen und Gewalthandlungen am Gautor, dem zwei Menschen zum Opfer fielen, dazu gab es zahlreiche Verletzte. Alsdann wurden die Stadt und das Umland nach einer urplötzlich eintretenden Finsternis von einem furchtbaren Hagelunwetter heimgesucht, das die Getreidesaat und die Obstblüte der Bauern fast völlig vernichtet hat. Und vor dem Auszug der Juden fiel roter Regen wie Blut vom Himmel, ich habe es selbst gesehen.«
»Und weiter?«
»Nun, seit diese Hexe hier ist, mehren sich Krankenheilungen, bei denen es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann.«
»Zum Beispiel?«
»Die Rettung der Gräfin und ihres Kindes unter Umständen, die mit natürlichen und gottgegebenen Abläufen nicht zu vereinbaren sind. Der Einsatz von Zaubermitteln, die Kranke einschlafen und wieder aufwachen lassen. Und dann, vor kurzem, so berichten es einige Augenzeugen in Oppenheim, für deren Wort ich mich verbürge, hat diese Anna Ahrweiler ein Mädchen nur durch ihre Hexenkünste vom Tode zum Leben erweckt.«
Der Erzbischof hatte höchst aufmerksam zugehört, und beim letzten Satz beugte sich sein Oberkörper aus dem Schatten nach vorne. »Könnt Ihr diese Augenzeugen benennen?«
»Ja, Eure Eminenz.«
»Und diese Leute würden ihre Aussagen gegebenenfalls vor einem Gericht wiederholen?«
»Ja, Eure Eminenz.«
Der Bischof lehnte sich zufrieden wieder zurück. »Ihr müsst wissen, ich bin dabei, dem unseligen Treiben dieser Medica ein Ende zu bereiten. Aber das muss unter uns bleiben. Vor allem der Graf darf vorerst nichts davon erfahren. Das will ich ihm zu gegebener Zeit selbst mitteilen. Ihr nehmt an den Feierlichkeiten und dem morgigen Schlusstag teil, als sei nichts gewesen. Habt Ihr das verstanden?«
»Gewiss, Eure Eminenz!«
Der
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