Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Brokat, Seide, Goldfäden und bei manchen sogar eingewirkte Edelsteine glänzten und gleißten im Sonnenlicht, die Pferde schnaubten und tänzelten.
Anna hatte Chassim sofort an der Greifvogelklaue auf dem Helm, den blauen Farben und dem Pferd mit der Blesse erkannt. Jetzt war er an der Reihe, sich zu präsentieren. Mit Fersen und Zügeln lenkte er sein Ross und ließ es tanzen. Die beiden formten eine vollendete Einheit. Mit strahlenden Augen verfolgte Anna seinen beeindruckenden Schauritt und fiel so begeistert in den allgemein aufbrandenden Applaus ein, dass sich Bruder Thomas erstaunt zu ihr umdrehte. Aber Anna beachtete ihn nicht weiter, so sehr war sie mit Klatschen beschäftigt und hüpfte dabei vor lauter Aufregung wie ein kleines Mädchen.
Mit einem Mal leiteten Trommelwirbel das nächste Spektakel ein, den Buhurt, den Massenkampf. Die gepanzerten Reiter bildeten wieder zwei gleich große Formationen, die sich einander gegenüber an den zwei Enden des Turnierplatzes aufstellten.
Die Trommeln schwiegen plötzlich, und die hereinbrechende Stille ließ das Publikum den Atem anhalten. Die Pferde schnaubten nervös. Der Graf erhob sich und streckte die rechte Hand, in der er ein weißes Tuch hielt, nach oben. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Die Ritter senkten ihre Holzlanzen stoßbereit in die Horizontale. Georg von Landskron reizte die Spannung bis zum Letzten aus. Endlich ließ er die Hand mit dem Tuch fallen und gab damit das Zeichen zum Losstürmen.
Die Reiterreihen starteten und stoben gleichzeitig aufeinander zu. Dieses Mal Mann gegen Mann, mit gestreckten Lanzen. Hart schepperten die Lanzenspitzen auf Schilde und Brustharnische, Holz splitterte und Blut spritzte, fast die Hälfte der Ritter wurde vom Pferd gestoßen und schlug krachend auf den Boden.
Ein kollektiver Aufschrei drang aus Hunderten von Kehlen, entsetzte Gesichter waren zu sehen, Anna schlug sich die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken, auch Bruder Thomas erschrak, und sogar der Erzbischof sprang von seinem Sitz hoch. Jeder wartete darauf, dass der Graf dem Kampf nun Einhalt gebieten würde. Aber Georg von Landskron blieb seelenruhig sitzen und legte nur beruhigend seine Hand auf die seiner Gattin. Der Buhurt ging weiter.
Wo war Chassim? Anna sah, dass er noch auf seinem Pferd saß, jetzt aber, wie die anderen Ritter, die noch im Sattel waren, absprang, sein Schwert zog und auf den Gegner losging, der ihm am nächsten stand. Dröhnende Schwerthiebe wurden allenthalben ausgetauscht, dass die Funken stoben, reiterlose Pferde scheuten und wieherten mit in Panik weit aufgerissenen Augen, das Gemetzel steigerte sich noch.
Anna konzentrierte sich ganz auf Chassim und nahm nur am Rande wahr, wie ein Ritter nach dem anderen in den Staub fiel und die Rüstungen voller Blut waren.
Als Chassim bei einem gewaltigen Streich seines Gegners umfiel, regungslos liegen blieb und sich sein Harnisch blutrot färbte, war es mit Annas Schreckensstarre vorbei. Ihr Herz raste, die Medica in ihr wollte nur noch über die Abgrenzung zu Chassim und retten, was zu retten war.
Doch Bruder Thomas hielt sie mit eiserner Hand zurück und flüsterte ihr ins Ohr: »Bleibt hier! Das Blut ist nicht echt!«
Zuerst wehrte sie sich verzweifelt gegen den Griff von Bruder Thomas, aber der ließ nicht locker.
»Beruhigt Euch … hört mir doch zu – das ist nur ein Schaukampf!«
Endlich drangen seine Worte zu ihr durch, und sie starrte ihn an, ganz allmählich kam ihr die Bemerkung von Chassim wieder in den Sinn – hatte er nicht gesagt, sie solle sich beim Turnier nicht erschrecken und sich auf eine Überraschung gefasst machen? Ja, jetzt verstand sie, was er damit gemeint hatte.
Und siehe da – alle Ritter, die noch in einem Augenblick wie tot und erschlagen dalagen, standen im nächsten Moment plötzlich wieder auf, obwohl sie teilweise blutbesudelt waren.
Bruder Thomas flüsterte in Annas Ohr: »Das ist nur rote Farbe oder Tierblut! Sie haben damit Beutel gefüllt, die sie unter ihrem Harnisch tragen und im rechten Moment platzen lassen!«
Dann ließ er sie los und fing an, wie andere Zuschauer auch, die begriffen hatten, was da vor sich ging, Beifall zu klatschen und Jubelrufe auszustoßen. Der Applaus schwoll noch an, als auch der letzte Schaulustige verstanden hatte, was vor seinen Augen geschehen war.
Anna jedoch stand leichenblass und mit Schweißperlen auf der Stirn neben Bruder Thomas und wäre ganz sicher umgekippt, wenn er sie
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