Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
sagte Anna und reichte ihm den Becher mit dem Trank.
»Schmeckt scheußlich bitter«, sagte Chassim. »Ich hoffe, Ihr wollt mich nicht vergiften. Was ist das?«
»Ein Schlaftrunk. Die Schmerzen werden nachlassen, Ihr werdet sehr müde und schlaft ein. Wenn Ihr wieder aufwacht, dann seid Ihr schon in Eurem zukünftigen Domizil für die nächste Zeit.«
»In Eurem Haus?«, sagte er.
»Erwartet nicht zu viel. Die nächsten Tage entscheiden darüber, ob Ihr Euer Bein behaltet oder nicht«, sagte Anna mit Nachdruck.
»Und mein Leben«, sagte Chassim ernst.
»Ja, auch das. Sollte das Bein brandig werden und Fieber dazukommen – dann werden wir gezwungen sein, es doch noch abzunehmen. Wenn es dann nicht zu spät ist.«
Chassim wandte sich an Ottgild. »So ist die Medica, Schwester – sie sagt einem immer die Wahrheit. Auch wenn sie nicht sehr erfreulich ist.« Er konnte die Augen nur noch mit Müh und Not offen halten. »Aber weißt du was, Ottgild …«, jetzt hatte er die Augen geschlossen und flüsterte nur noch, so dass Anna ihr Ohr nahe an seinen Mund hielt, um ihn zu verstehen: »… ich glaube, ich liebe sie …«
Die letzten Worte hatte er so leise gesagt, dass Anna sie mehr erahnt als gehört hatte. Sie hoffte, dass Ottgild sie nicht verstanden hatte, und sagte schnell: »Das ist die Wirkung des Schlaftrunks. Er weiß nicht mehr, was er sagt.«
Ottgild wartete, bis Chassim ohne Bewusstsein war, dann stand sie auf. »Es stimmt, was er über die Meinung der Leute über Eure Wunderheilungen gesagt hat. Der Erzbischof soll sich beim Burgkaplan nach Euch erkundigt haben. Ich wollte Euch nur vorwarnen.«
»Der Erzbischof? Was will der Erzbischof von mir?«
»Eure Heilkünste werden sich bis nach Köln herumgesprochen haben. Die Leute munkeln viel. Ich nehme an, der Burgkaplan wird ihn darüber informiert haben, dass Ihr unter dem besonderen Schutz meines Gatten und des Königs steht.«
»Hoheit – Ihr kennt meine Arbeit. Wie soll ich mich gegen Gerüchte wehren? Die Leute wollen an Wunder glauben, aber meine Heilmethoden haben nichts mit Wundern zu tun!«
»Das weiß ich. Und ich denke genauso darüber. Aber wenn der Erzbischof meinen Gatten darauf anspricht, kann nicht einmal er eine diesbezügliche Frage ignorieren. Kennt er Euch von früher?«
Anna überprüfte Chassims Zustand, so wie es Aaron der Medicus ihr beigebracht hatte: Sie fühlte nach seinem Herzschlag am Hals und hob kurz eines seiner Augenlider, bevor sie antwortete. »Um ehrlich zu sein, Hoheit: Ja. Er kennt mich.«
»Was hat er gegen Euch?«
Anna schüttelte den Kopf. »Es hat mit meiner Vergangenheit zu tun. Und die hat mich nun wieder eingeholt. Ich kann ihr nicht entkommen, egal, was ich tue.«
Anna war vor den Zelteingang getreten und sah zu, wie die Sonne glutrot hinter den dunklen Wolken verschwand, die am Horizont auftauchten. Es war drückend schwül geworden, die Luft schien stillzustehen. Sogar die Vögel hatten aufgehört zu zwitschern.
Ottgild trat hinter sie und legte ihr tröstend den Arm auf die Schulter. »Wir werden Euch helfen, so gut wir können, mein Gatte und ich. Aber auch seine Macht hat ihre Grenzen. Vor allem dann, wenn ein so hoher Würdenträger wie der Erzbischof mehr über Euch wissen will.«
»Es wird bald ein Gewitter geben«, sagte Anna gedankenverloren.
»Ja«, pflichtete die Gräfin ihr bei. »Ich hoffe, Ihr schafft es noch rechtzeitig, meinen Bruder in Euer Haus zu bringen.«
Sie schwiegen und blickten sorgenvoll auf die pechschwarze Wolkenwand, die sich bedrohlich auftürmte.
In dem Moment, als sie mit dem Wagen über die Holzbrücke zum Haus der Medica fuhren, fing es an, auf die Plane des Fuhrwerks zu prasseln. Aber Berbelin hatte schon die Scheunentore aufgemacht, und sie gelangten gerade noch rechtzeitig ins Trockene, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete. Bruder Thomas sprang vom Kutschbock und schirrte die Zugpferde ab. Anna war bei ihrem schlafenden Patienten im Wagen, wo sie Chassim auf eine weiche Strohunterlage gebettet und schonend mit Gurten fixiert hatten.
Draußen tobte das Gewitter nun mit Windböen und Blitz und Donner. Chassims Burschen, die den Planwagen auf ihren Pferden begleitet hatten, hoben die Trage mit dem Junker vom Wagen und trugen sie in die Behandlungsstube, wo sie den Patienten so sanft wie möglich auf eine mit einem Leintuch überzogene dicke Strohmatratze legten.
Als sie schließlich alle in der Küche saßen und fleißig dem Gemüseeintopf, den
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