Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Berbelin gekocht hatte, und dem frischgebackenen Brot zusprachen, schweiften Annas Gedanken immer wieder ab, obwohl Bruder Thomas sein Bestes gab, die Runde zu unterhalten.
Was wollte der Erzbischof von ihr? Warum hatte er Erkundigungen eingezogen? Wenn er die Wunderheilungen, die ihr zugesprochen wurden, ernst nahm und gar eine Untersuchung anstellen würde, dann konnte das für sie mehr als brenzlig werden. Bisher hatte sie gehofft, sich in Oppenheim ein neues Leben aufbauen und ihre Vergangenheit als Bruder Marian vergessen zu können. Aber wenn Konrad von Hochstaden erneut auf den Plan trat, war all das in höchstem Maße gefährdet. Ihre Furcht davor, jemand würde ihre wahre Identität aufdecken und herausfinden, dass sie im Kloster gelebt hatte, wuchs umso stärker, je mehr sie darüber nachdachte. Ob der Erzbischof sie nur ins Visier genommen hatte, weil er vom Burgkaplan gehört hatte, dass sie sich als Heilerin in kürzester Zeit einen bemerkenswerten Ruf bei den Menschen in Oppenheim erarbeitet hatte? Ein Ruf, der Anlass zu vielerlei Spekulationen gab und eine kirchliche Untersuchung ihrer Methoden im Grunde geradezu provozierte? Oder spionierte sein Neffe Gero sie schon seit einiger Zeit aus, ohne dass sie es gemerkt hatte? Wahrscheinlich war beides zutreffend. Beim bloßen Gedanken daran wurde sie von nackter Panik erfasst.
* * *
Besorgt beobachtete Bruder Thomas, wie Anna immer mehr ins Grübeln geriet. Er vermutete, dass sie sich Sorgen um Chassim machte, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Er akzeptierte und respektierte Anna für ihr Wissen und Können als Heilerin und wäre für sie durchs Feuer gegangen. Aber wenn er ihre Autorität, die sie Kraft ihres Titels hatte, beiseiteließ, was blieb dann übrig? Ein junges Mädchen, das – so nahm er an – auf dem Feld der Liebe gänzlich unerfahren war und beim ersten Herzflattern angesichts eines gutaussehenden Bengels wie Junker Chassim rettungslos verliebt und seinen Gefühlen ausgeliefert war. Offen wagte er es nicht, ihr das zu sagen. Aber er beschloss, auf diese sich anbahnende und höchst gefährliche Liaison ein Auge zu haben. Wenn er sich jemandem verpflichtet fühlte, dann seiner Medica gegenüber. Auf gar keinen Fall würde er zulassen, dass sie sich in ihr Unglück stürzte und daran zu Grunde gehen musste – ein Graf wie Chassim, so ehrbar und ritterlich er sich bisher gezeigt hatte, war auch nur ein Mann aus Fleisch und Blut. Nicht in tausend Jahren würde er sich herablassen und um eine Frau freien, die aus niederem Stand war. Bevor sich dies änderte, würde der Papst ex cathedra verkünden, dass die Erde um die Sonne kreiste und nicht umgekehrt.
Bruder Thomas verwünschte den Gewissenskonflikt, in den er sich durch seine Erkenntnis und seine Lebenserfahrung gebracht sah. Ihm blieb nur ein Weg: Er musste auf die Medica aufpassen, ohne sie zu bevormunden, denn sobald sie das Gefühl hatte, dass man ihr vorschrieb, was sie zu tun und zu lassen hatte, reagierte sie mit Trotz und zog sich in ihr Schneckenhaus zurück. Aber er war es ihr schuldig, sie vor sich selbst zu schützen. Und gegebenenfalls musste er ein ernstes Wort mit ihr reden, selbst wenn das zu einem Streit oder gar zu einem Zerwürfnis führte.
Bruder Thomas seufzte bei diesen finsteren Aussichten zutiefst und nahm noch einen Schluck von seinem Bier.
* * *
Das Unwetter hatte sich inzwischen verzogen, ohne größeren Schaden anzurichten. Wie ein Drache, der erst Feuer spie, dass man dachte, das letzte Stündlein der Welt hätte geschlagen, und dann unter viel Getöse und Gefauche den Schwanz einzog und sich aus dem Staub machte. Es regnete noch ein paar Tropfen, als die zwei Burschen auf ihre Pferde stiegen und sich in ihr Quartier verzogen, nicht ohne vorher zu fragen, ob sie gelegentlich vorbeikommen und ihren Herrn besuchen dürften.
Es war an der Zeit, nach Chassim zu sehen. Anna betrat mit Bruder Thomas die Behandlungsstube und fand den Patienten wach vor. Seine Stimme war schwach, als er sagte: »Ich habe großen Durst.«
Auf ein Zeichen von Anna eilte Bruder Thomas davon, um Wasser zu holen. Sie setzte sich an die Seite von Chassim und befühlte seine Stirn. Es war das eingetreten, wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte: Seine Stirn war heiß, er glühte.
»Ihr habt Fieber, Hoheit«, stellte sie fest und versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen.
»Ist das schlimm?«, fragte Chassim.
Bruder Thomas kehrte mit einem Krug Wasser und einem Becher
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