Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
durchfuhr ein wonniger und zugleich schmerzlicher Schauer. Sie küsste seine Finger und ließ ihn gewähren, als seine Hand zu ihrem Kinn und ihrem Hals hinabwanderte, obgleich ihr Verstand allmählich wieder die Oberhand gewann und ihr sagte, dass sie als Medica hier saß und nicht als seine Geliebte. Chassim griff noch mit schwachen Fingern nach ihrem Kreuzkettchen mit dem Blutstropfen aus Edelstein, aber dann sank sein Arm kraftlos herab, und er fiel wieder in seinen fiebrigen Dämmerzustand.
Ein Poltern brachte Anna mit einem Mal in die Wirklichkeit zurück. Bruder Thomas kam mit Berbelin herein und stieß die Tür mit dem Fuß auf, weil er eine Schüssel mit Aqua Vitae und Gurte dabei hatte. Die Gurte hatte er aus der Scheune geholt, sie dienten eigentlich als Befestigungsgurte für Gerätschaften auf dem Planwagen. Aber mit ihnen ließ sich zumindest Chassims Oberkörper so fixieren, dass es nicht in die Haut einschnitt, wie das mit einem stramm gebundenen Seil der Fall gewesen wäre. Berbelin und Bruder Thomas hielten Chassims gesundes Bein fest, während Anna sich daran machte, vorsichtig die Beinschienen und den Verband vom gebrochenen Bein zu lösen. Sie hätte Chassim auch mit einem Schlafschwamm ruhigstellen können, aber allzu oft wollte sie ihn nicht damit behandeln, denn die Nachwirkungen wie Übelkeit und Kopfschmerzen waren doch nicht unerheblich. Endlich hatte sie sein gebrochenes Bein frei gelegt. Sie säuberte seine vernähte Wunde mit Aqua Vitae .
Bruder Thomas sah sie sich an und roch daran. »Kein Wundbrand bisher«, stellte er zufrieden fest. »Sieht gut aus.«
»Ja«, stimmte ihm Anna zu. »Wollen wir hoffen, dass es so bleibt.« Sie gab eine frisch angerührte Salbe auf die Naht, die für bessere Wundheilung sorgen sollte, und beschloss, keinen Verband mehr anzulegen, weil die Wunde nicht mehr blutete und sie dem Patienten die Prozedur des täglichen Entfernens der Beinschienen in Zukunft ersparen wollte. Sorgsam brachte sie die Beinschienen wieder an und befestigte sie mit Lederriemen. Danach löste Bruder Thomas die Gurte und brachte die schmutzigen Verbände weg. Währenddessen strich Anna ihrem Patienten das verschwitzte Haar aus der Stirn und betete für ihn.
* * *
Auf Burg Landskron war für den Erzbischof die Stunde der Abreise gekommen, er musste dringender Geschäfte wegen nach Köln zurück, sein zweiachsiger Reisewagen stand angeschirrt mit vier Pferden schon im Hof der Burg bereit. Konrad von Hochstaden mochte diese Art des Reisens zwar nicht, sie war holprig, unbequem und langsam, aber er war es seinem hohen Stand als Erzbischof schuldig, sich in würdevoller und angemessener Form – der Wagen war mit allen Insignien seiner Macht verziert – durchs Land zu bewegen. Seine Begleitung bestand aus zwei Dutzend schwer bewaffneten Reitern, auf deren Uniformen sein Wappen prangte: der silberne Reichsadler auf rotem Grund.
Der Kutscher saß bereits auf dem Kutschbock, die Reiter waren aufgesessen, die Pferde tänzelten nervös, die Dienerschaft der Burg war in Reih und Glied angetreten, nur Seine Eminenz kam nicht aus der schweren Eichentür des Palas, auf die alle Augen gerichtet waren.
Konrad von Hochstaden kostete es aus, die Leute warten zu lassen. Allerdings hatte er seine Gründe. Wie es sich geziemte, hatte er der Gräfin seine Aufwartung gemacht und seinen Dank für die erwiesene Gastfreundschaft ausgesprochen. Den Grafen hingegen bat er noch zu einer kurzen Unterredung unter vier Augen in dessen Audienzzimmer.
Sobald Graf Georg den Erzbischof in den dunkel getäfelten Raum geleitet und die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wandte sich Konrad von Hochstaden dem Grafen zu und lächelte maliziös. »Wie geht es Eurem Schwager?«, fragte er.
»Nun, Junker Chassim hat Glück im Unglück gehabt, Eure Eminenz. Das verletzte Bein musste ihm nicht abgenommen werden. Aber er ist noch nicht über den Berg.«
»Ich habe gehört, er ist in guter Pflege.«
»Ja, Eure Eminenz. Unsere größte Sorge ist, dass er Fieber und Wundbrand bekommt und sein Bein doch noch abgenommen werden muss. Aber er ist in guten Händen«, antwortete der Graf.
»Meint Ihr damit die Medica?«
»Ja, Eure Eminenz, sie hat in der Tat begnadete Hände und ein großes Wissen über die Heilkunde.«
Der Erzbischof nickte bedeutungsschwer. »Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen. Sie soll wahre Wunderheilungen vollbringen.«
Der Graf winkte ab. »Die Leute! Versteht Ihr: Sie hören etwas, schmücken
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