Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
zurück und half ihm beim Trinken.
»Nein, Hoheit«, antwortete Anna. »Beim Heilungsprozess ist das ganz natürlich. Das Fieber darf nur nicht schlimmer werden und sollte nach zwei oder drei Tagen wieder zurückgehen. Bruder Thomas wird Euch einen Trank zubereiten, der Euch hilft.«
Bruder Thomas verschwand augenblicklich.
Chassim ergriff Annas Hand. »Ich sehe, ich bin schon in deinem Haus. Wie habt ihr das geschafft?«, fragte er.
Anna hatte ein frisches Tuch genommen und es mit Wasser benetzt, damit wischte sie ihm die schweißnasse Stirn ab.
»Macht Euch keine Gedanken. Ihr seid hier bei Bruder Thomas und meiner Magd in besten Händen.«
»Anna«, sagte er. »Anna, ich bin so froh, bei dir zu sein. Ich muss so viel von dir wissen. So viel …« Seine Augen schlossen sich, er wirkte auf einmal zu Tode erschöpft.
Bruder Thomas kam mit dem Trank in die Behandlungsstube zurück. »Eine kleine Prise Schlafmohn und Kampfer, Schafgarbe und Lindenblüten gegen das Fieber. Es wird das Beste sein, er schläft so viel wie möglich.«
Anna nickte zustimmend, und Bruder Thomas flößte dem Patienten den Trank ein. Anschließend sank Chassim wieder auf sein Strohlager und murmelte Unverständliches.
Bruder Thomas sagte zu Anna: »Ich bleibe bei ihm. Ihr solltet lieber zu Bett gehen. Der Tag war anstrengend.« Seine Miene war besorgt. »Wenn das Fieber weiter ansteigt, wird es gefährlich.«
Anna stand auf. »Ich weiß. Weckt mich, wenn sich an seinem Zustand etwas ändert.«
Mit einem letzten Blick auf Chassim verschwand Anna aus der Behandlungsstube und ging hoch in ihre Schlafkammer.
XIV
A m nächsten Tag wachte Anna erst auf, als die Sonne, die durch das Fenster mit Aarons sündhaftteuren kleinen Glasscherben fiel, ihr direkt ins Gesicht schien. Es musste schon ziemlich spät sein, normalerweise stand sie mit dem ersten Hahnenschrei auf. Rasch erhob sie sich, leicht verärgert, weil man sie nicht geweckt hatte. Noch bevor sie sich in der Badestube erfrischte, stürmte sie in die Behandlungsstube und fand Bruder Thomas bei Chassim vor, der dem Patienten den Oberkörper und das Gesicht wusch.
»Warum habt Ihr mich nicht geweckt?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Es gab keinen Grund », entgegnete Bruder Thomas seelenruhig und unterbrach seine Arbeit nicht.
»Hat er immer noch Fieber?«, fragte Anna.
»Ja. Es ist nicht zurückgegangen.«
»Wie war die Nacht?«, fragte sie besorgt und befühlte Chassims heiße Stirn.
»Das Fieber ist so hoch, dass er nicht mehr weiß, wo er ist und wer ich bin. Nur Euren Namen hat er ab und zu ausgesprochen …«, sagte Bruder Thomas überdeutlich und schenkte ihr einen warnenden Blick, der darauf schließen ließ, was er wohl davon hielt. Nämlich nicht viel.
Sie überging seine Andeutung geflissentlich und überprüfte stattdessen den blutigen Verband. »Was macht seine Wunde?«
»Sie nässt und blutet leicht«, antwortete Bruder Thomas. »Aber ich wollte den Verband nicht ohne Euch erneuern. Dazu müssen wir erst die Beinschienen entfernen.«
»Das geht nur, wenn er völlig ruhiggestellt wird«, meinte Anna nachdenklich.
»Ich befürchte, wir müssen ihn festbinden«, sagte Bruder Thomas.
»Und Berbelin muss mithelfen«.
»Ich hole sie.«
Er ging hinaus, und Anna setzte sich neben Chassim, der unruhig den Kopf hin und her warf. Jetzt, wo sie für einen Augenblick mit ihm allein war, ließ sein bedauernswerter Zustand Anna die Tränen in die Augen steigen. Wie oft hatte sie sich den dringenden Rat ihres Mentors Aaron schon zu Herzen genommen, sich auf gar keinen Fall mit ihren Gefühlen auf die Krankheit eines Patienten einzulassen, sondern immer eine gewisse Distanz einzuhalten. Aber bei Chassim funktionierte das nicht.
»Mein armer blauer Ritter«, sagte sie traurig und wischte ihm den Schweiß mit ihrem Ärmel aus der Stirn. »Mein schöner, armer blauer Ritter.«
Als sie dies sagte, legte sich seine Unruhe plötzlich, seine Augen öffneten sich, und Anna sah, dass er einen vollkommen klaren Moment hatte.
»Anna«, flüsterte er schwach. Anna redete ihm zu wie einem kleinen Kind und streichelte seine Wangen. »Sch!«, tröstete sie ihn. »Es wird alles gut werden.«
»Ja, Anna, ja.« Er hob die rechte Hand und ertastete und befühlte wie ein Blinder liebevoll ihr Gesicht, als wolle er sich jede Einzelheit für alle Zeiten einprägen, ihre Augenbrauen, ihre Wangenknochen, ihre Stirn, ihren Haaransatz. Zärtlich fuhr er den Schwung ihrer Lippen nach, und Anna
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