Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
meine Anweisungen strikt befolgt werden. Sollte die Medica trotzdem Gelegenheit zur Flucht erhalten, fällt das auf Euch zurück. Ihr wisst, was das bedeutet. Ihr könnt sicher sein, dass ich einen derartigen Verstoß gegen unsere Abmachung als hinreichenden Grund für eine Fehde betrachte. Wenn es um Häresie geht, stehen alle Fürsten des Reiches ausnahmslos auf meiner Seite, der Seite der Kirche.«
Er ließ seine Drohung noch einen Atemzug lang wirken, dann machte er einen Schritt zurück und war wieder ganz der joviale Gast, der ungern Lebewohl sagen muss.
»Nun denn, die Zeit hält nicht still. Ich darf mich von Euch verabschieden.« Der Erzbischof verbeugte sich leicht und setzte hinzu: »Gehabt Euch wohl, Hoheit. Zum Festum nativitatis Mariae werde ich ohnehin wieder hier sein, weil ich bis dahin die Reliquie der heiligen Katharina für die neue Kirche von Oppenheim erwarte. Dann sehen wir uns wieder.«
Mit diesen Worten drehte er sich endgültig um und verschwand.
* * *
Von einer Fensterluke im oberen Stock des Palas aus sah Graf Georg von Landskron zu, wie der Erzbischof mit wehendem Mantel durch das Spalier der Dienerschaft zu seinem Wagen schritt, einstieg und samt Tross den Hof der Burg verließ.
Plötzlich spürte er, dass seine Gattin hinter ihn trat. Er drehte sich nicht um, denn er war wie erstarrt. »Er will die Medica wegen Häresie anklagen.«
»Oh mein Gott!«, flüsterte Ottgild entsetzt, umarmte ihren Mann tröstend von hinten und legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Ich habe es befürchtet. Von Anfang an. Seit der Erzbischof deine Einladung akzeptiert und seinen Besuch zum Turnier angekündigt hat. Die Medica hat sich zu viele Feinde gemacht. Der Burgkaplan ist ein Mann des Erzbischofs. Er muss sie denunziert haben«, murmelte sie an seinem Hals.
Der Graf seufzte tief und fragte seine Frau: »Was soll ich nur tun? Ich muss den Anweisungen des Erzbischofs Folge leisten. Wenn ich seine kirchliche Autorität anzweifle, sind wir verloren. Er würde uns ebenfalls der Häresie anklagen. Wir können uns auf keine Fehde mit ihm einlassen. Er würde uns vernichten.«
Es dauerte eine Weile, ehe Ottgild antwortete. »Ich weiß. Ich werde mit der Medica sprechen«, sagte sie mit belegter Stimme.
TEIL IV
I
D ie Neuigkeiten von Burg Landskron, die Gräfin Ottgild am Abend der Medica in der Küche ihres Hauses überbrachte, waren so niederschmetternd, dass es zunächst allen Anwesenden die Sprache verschlagen hatte. Die Gräfin, von der sie dachten, sie sei nur zu einem ihrer Besuche bei ihrem Bruder gekommen, hatte Schreckliches zu berichten gehabt: Der Erzbischof wollte Anna der Häresie anklagen. Wenn das Verfahren so durchgeführt wurde, wie es sich Konrad von Hochstaden vorstellte – und niemand am Tisch zweifelte daran –, war Annas Untergang besiegelt.
Anna, Bruder Thomas und Berbelin waren so bestürzt, dass sie einander zunächst nicht in die Augen sehen konnten. Bruder Thomas verschmähte sogar seinen Bierhumpen, den er sich eben noch vollgeschenkt hatte.
Anna fasste sich als Erste, indem sie aufstand und hin- und herging, um besser über die Tragweite dessen, was die Gräfin gesagt hatte, nachdenken zu können, eine Eigenheit, die sie von Meister Aaron übernommen hatte. In einem versteckten Winkel ihres Kopfes hatte sie immer befürchtet, dass es nicht so ohne weiteres mit ihrem neuen Leben als Medica weitergehen konnte, erst recht, seit sie Gero gesehen und vom Besuch des Erzbischofs auf Burg Landskron erfahren hatte. Aber diese Besorgnis hatte sie stets für sich behalten und so manches Mal im Geiste fortgeschoben. Lieber hatte sie von Chassim geträumt und sich in falscher Sicherheit gewiegt.
Und jetzt? Jetzt musste sie ihr Leben retten. Einfach das Nötigste auf den Planwagen packen, die Pferde anspannen und mit oder ohne Bruder Thomas und Berbelin das Weite suchen. Wie Meister Aaron: rechtzeitig fliehen, wenn man gegen einen übermächtigen Gegner nichts ausrichten konnte, bevor es zu spät war. An die zwei Wachen, Gero von Hochstadens Kumpane, die nun bis zum Beginn ihres Prozesses auf der Wiese vor ihrem Haus ein kleines Lager bezogen hatten und aufpassten, dass niemand das Haus verlassen oder betreten konnte ohne die Einwilligung des Grafen, dachte sie einen Moment lang gar nicht. Denn da war noch etwas, dass ihr eine Flucht unmöglich machte.
Unter keinen Umständen würde sie Chassim im Stich lassen. Nicht, solange er immer noch zwischen Leben und Tod schwebte.
Weitere Kostenlose Bücher