Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
verständnislos in den Regen.
XII
A nna war noch einmal umgekehrt. Ihr war eingefallen, dass sie etwas vergessen hatte, was sie nicht missen wollte: ihr Buch mit den korrekten Mischungsangaben für ihre Arzneien. Wenn sie Glück hatte, war es noch da, wo sie es vor ihrer Haft auf Burg Landskron versteckt hatte. In der Badestube ihres Hauses. Sie hatte so viel Zeit, Arbeit, Mühe und Experimente darauf verwendet, die richtigen Mengen, Verhältnisse und Zubereitungen der Mixturen zusammenzustellen, dass sie darauf nicht verzichten konnte.
Die letzten Wolken hatten inzwischen der Sonne Platz gemacht, aber sie stand schon sehr tief, als Anna auf den Hof ihres Hauses an der Stadtmauer von Oppenheim geritten kam. Sie beeilte sich, sie wollte nicht im Dunkeln nach ihrem Buch suchen oder gar bei Nacht zum Lager ihrer Gefährten zurückreiten müssen. Sie band ihr Pferd vor der Scheune fest und betrat noch einmal ihr Haus.
Oppenheim für immer den Rücken zu kehren, war der einhellige Wunsch aller gewesen. Zu sehr war die Erinnerung an die guten Zeiten durch den Prozess vergiftet, als dass einer von ihnen, weder Bruder Thomas noch Berbelin noch Anna selbst, auch nur einen Tag länger in dieser Umgebung verweilen wollte. Caspar, Annas Ziehvater, Bruder Thomas und Berbelin hatten Chassims Angebot angenommen, sich ihnen anzuschließen. Anna und Chassim wollten zum Gut von Chassims Vater reisen, um dort zu heiraten. Anna wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Chassim auf Burg Greifenklau endlich ein neues Leben zu beginnen. Welch eine Befreiung, sich nicht mehr verstellen zu müssen, sich in aller Öffentlichkeit zu ihrer Liebe bekennen zu dürfen und nie wieder Verfolgung und Verleumdung ausgesetzt zu sein!
Annas Entsetzen war groß gewesen, als sie sah, was die Soldateska des Erzbischofs während ihrer Haftzeit auf Burg Landskron in ihrem Haus angerichtet hatte. Die Männer hatten jeden Winkel durchsucht und das Unterste zuoberst gekehrt. Dass sie sogar die im Garten vergrabene Bücherkiste entdeckt hatten, war für Anna ein deutlicher Hinweis darauf, wie lange das Haus schon unter Beobachtung gestanden haben musste. Die ganze Einrichtung war verwüstet, das Laboratorium glich einem Scherbenhaufen, Bücher lagen zerfetzt und halb verbrannt im Herd in der Küche.
Das Wenige, das sie noch unversehrt und mitnehmenswert fanden, hatten Anna und ihre Gefährten schließlich auf den Wagen gepackt und waren, sobald der Regen endlich nachgelassen hatte, losgefahren.
Anna hatte sich grenzenlos erleichtert gefühlt, als sie Oppenheim und Burg Landskron hinter sich gelassen hatten und in Richtung Rhein weiterzogen, an dessen Ufer sie entlangreisen wollten, bis sie zu einer Fähre kamen und auf das östliche Rheinufer hinüberwechseln konnten.
Gerade als der mächtige Fluss in der Ferne auftauchte und Chassim vorschlug, am Waldrand ein Nachtlager aufzuschlagen, war Anna eingefallen, dass sie unbedingt ihr Notizbuch brauchte, das sie in der Hektik der Abreise vergessen hatte. Sie war sich sicher, dass die Soldaten des Erzbischofs dieses Buch nicht gefunden hatten, weil sie es vor ihrem erzwungenen Umzug auf die Burg hinter einem lockeren Ziegelstein in der Badestube versteckt hatte. Bruder Thomas wollte sie nicht alleine zurückreiten lassen, aber Anna ließ sich gar nicht erst auf ein Gespräch ein, sondern ritt schnurstracks zurück, bis zum Sonnenuntergang wollte sie wieder bei den Gefährten sein.
Nun stand Anna also in der Badestube ihres Hauses. Auch hier hatten die Soldaten gewütet und so viel zerstört, wie sie nur konnten. Aber Anna sah auf den ersten Blick, dass die rückwärtige Ziegelwand unversehrt geblieben war bis auf ein paar Flecken, wo Gefäße mit Flüssigkeiten aus ihrem Laboratorium an der Wand zerschmettert worden waren. Sie fand den richtigen Ziegel, zog ihn heraus, und dahinter kam ihr wertvolles Notizbuch zum Vorschein. Sie nahm es und pustete den Staub weg – es war unversehrt. Glücklich drückte sie ihren Fund an sich, drehte sich um, und dann stockte ihr Herz einen Moment lang vor Schreck.
Vollkommen unerwartet stand sie ihrem eigenen Fleisch und Blut Auge in Auge gegenüber, ihrem gewalttätigen Feind und Vetter, Gero von Hochstaden. Er glotzte sie ungläubig und entgeistert an. Dann begann sein Gesicht zu zucken und sein unverkennbares Grinsen setzte ein. Anna merkte erst jetzt, dass er sein Schwert in der einen und eine brennende Fackel in der anderen Hand hielt.
Blitzschnell schossen ihr die
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