Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
erwiderte die Medica. »Was dem verstorbenen Abt Melchior und dem Infirmarius Pater Urban sowie meiner Mutter, meinem Vater und mir angetan wurde, müsst Ihr selbst mit Gott ausmachen. Das kann kein irdisches Gericht, dafür habt Ihr schon gesorgt. Mir liegt nichts an Rache. Ich bin Anna, die Medica, und sehe meine Aufgabe darin, Leben zu retten und zu heilen und nicht zu zerstören.«
Bei diesem Bekenntnis sah sie den Erzbischof unverwandt an. Aber Konrad von Hochstaden senkte seinen Blick nicht, sondern erwiderte ihn kalt, dann drehte er sich um und ging aufrecht ohne ein weiteres Wort Richtung Ausgang.
Gero zuckte zwar kurz mit der Waffenhand, folgte dann aber zögerlich seinem Onkel. Die gräfliche Wache öffnete die Tür, und die beiden schritten nach draußen, wo es angefangen hatte, heftig zu regnen.
* * *
Als die Tür hinter dem Erzbischof und seinem Neffen wieder ins Schloss gefallen war, löste sich die schier unerträgliche Spannung unter den Anwesenden, die regelrecht mit Händen zu greifen gewesen war. Aber niemand brach in Jubel aus, keiner schien fähig, etwas zu sagen.
Es war vorbei.
Bruder Thomas bekreuzigte sich und murmelte ein Dankgebet gen Himmel, bevor er Caspar Ahrweiler die Hand schüttelte; der Graf gab seiner Gattin einen angedeuteten Kuss auf beide Hände; Berbelin kniete vor dem Altar nieder, schloss die Augen und betete; Anna schmiegte sich an Chassims Schulter. Er drückte sie an sich. Jetzt mussten sie ihre Liebe zueinander vor niemandem mehr verbergen.
XI
D er schwere geschlossene Reisewagen des Erzbischofs rumpelte durch den dichten Regen die holprige Landstraße entlang, die von Oppenheim wegführte. Die Leibwachen, die als Begleitschutz voraus- und hinterherritten, waren durchnässt bis auf die Knochen und sahen in ihren Umhängen mit den triefenden Kapuzen und den hängenden Schultern aus wie Soldaten, die von einem verlorenen Feldzug heimkehrten.
Der Erzbischof hatte sich in die klammen Polster zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Gero, der seit einer geschlagenen Stunde darauf wartete, dass er von seinem Onkel angesprochen wurde, stand regelrecht unter Schock. Er fragte sich immer noch, wie diese Hexe es tatsächlich geschafft hatte, ungeschoren davonzukommen. Und dann war sie auch noch seine Base. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Er hätte seine Wut am liebsten herausgeschrien oder sie wenigstens an irgendetwas ausgelassen. Aber hier, in diesem engen, unbequemen Gefährt, war das unmöglich, noch dazu im Beisein seines Onkels, der in einer Stimmung war, die es ratsam erscheinen ließ, um Gottes willen nichts Falsches zu tun.
Die Abreise von Burg Landskron war alles andere als glanzvoll und rühmlich gewesen, nachdem der Erzbischof und Inquisitor, Konrad von Hochstaden, vor der in der Empfangshalle versammelten Menge zur grenzenlosen Verblüffung aller Anwesenden verkündet hatte, dass die Medica unschuldig und deshalb freizusprechen war. Ganz abgesehen von den entsetzten Gesichtern des Burgkaplans, des Vogtes und des Abts, von den triumphierenden Mienen der Hexe, ihres gräflichen Liebhabers, ihres Ziehvaters, des Grafen und seiner Gattin, des Mönchs und anderer, dem anschließenden Tumult, dem vereinzelten Beifall, war die öffentlich eingestandene Niederlage seines Onkels so niederschmetternd für Gero, dass er zunächst nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Gero grübelte vor sich hin, er sann auf Rache, furchtbare, blutige Rache, in seinem Kopf schälte sich so etwas wie ein Plan heraus. Ein finsterer, mörderischer Plan, wie er seine Base doch noch vernichten konnte …
In diesem Augenblick unterbrach die Stimme seines Onkels Geros Phantasien.
»Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, dich in ein Familiengeheimnis einzuweihen, Gero. Ein schreckliches Geheimnis, das schwer auf meiner Seele lastet. Und das uns dein Vater – Gott hab ihn selig! – aufgebürdet hat.«
Gero war mit seinen Gedanken noch ganz woanders und fragte: »Seit wann habt Ihr gewusst, dass Bruder Marian Anna ist, meine Base und Eure Nichte?«
»Was heißt gewusst … geahnt habe ich es, geahnt. Seit ich Bruder Marian in der Empfangshalle des Abtes von Kloster Heisterbach in die Augen gesehen habe. Da hätte ich es wissen müssen. Aber in meinem Hochmut habe ich dem keinerlei Beachtung geschenkt. Was ein großer, nicht mehr gutzumachender Fehler war. Gott hat mich dafür bestraft. Er hat mir ein Zeichen gegeben, indem er mir ihre Augen gezeigt hat, und ich habe es
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