Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Kaplan zur Einführung der Reliquie der Heiligen Katharina versprochen hatte, als Belohnung für treue Dienste und Denunziationen, hatte nicht stattgefunden, was vom Kaplan ebenso fassungslos aufgenommen worden war wie der Freispruch der Medica aus heiterem Himmel. Was war da geschehen?
Der Burgkaplan hatte eine dunkle Vermutung, aber er hütete sich, sie zu äußern: Die Hexe musste dem Erzbischof nächtens den Kopf verdreht haben, da war der Teufel mit im Spiel. Anders konnte sich der Kaplan die vollkommen unerwartete Kehrtwendung des Inquisitors nicht erklären.
Wie auch immer – Oppenheim war die Hexe und ihr ganzes Gesindel jedenfalls los, so hatte er gehört. Sie würde mit Junker Chassim ziehen und Oppenheim für immer den Rücken kehren. Das war zwar nicht das Ergebnis, das der Kaplan mit seiner Anzeige hatte erreichen wollen, aber immer noch besser als nichts.
Der Graf allerdings hatte vom Burgkaplan verlangt, die Burg unverzüglich zu verlassen und sie nicht mehr zu betreten. Dieser Anordnung war der Kaplan ohne zu zögern nachgekommen. Bei einem solchen Landesherrn wollte er ohnehin nicht bleiben. Schließlich hatte ihm der Erzbischof die Pfarrei der Katharinenkirche versprochen, die noch im Bau war. Deshalb hatte er seine wenigen Habseligkeiten auf den Wagen mit der kostbaren Reliquie geladen, für die der völlig kopflose Erzbischof plötzlich keinerlei Interesse mehr gezeigt hatte, und beschlossen, sie gleich in sein neues Refugium in der Stadt mitzunehmen. Unter keinen Umständen wollte er die Gebeine der Heiligen Katharina auch nur einen Tag länger auf dieser Burg lassen, die des Teufels war. Der Kaplan musste dem Fuhrknecht mehr als das Dreifache des üblichen Lohns für den Transport zahlen, aber das war es ihm wert. Dass sich das schlechte Wetter, bis sie endlich losfuhren, in ein stürmisches Unwetter verwandeln würde, hatte natürlich niemand voraussehen können.
Und nun steckten sie irgendwo zwischen Stadt und Burg fest, und Hilfe war weit und breit keine in Sicht. Doch der Burgkaplan wollte nicht aufgeben, er kletterte vom Kutschbock und stemmte sich mit aller Gewalt gegen das Hinterrad, als er bemerkte, dass der Fuhrknecht die Pferde ausspannte und kehrtmachte. Der Kaplan wollte ihn aufhalten, aber der Mann schüttelte nur den Kopf und warf ihm das Geld vor die Füße, bevor er seine zwei Zugpferde so schnell wie möglich durch die Regenböen wieder hoch zur Burg führte.
Da stand der Kaplan verlassen da und hatte das Gefühl, dass sich an diesem Tag alles gegen ihn verschworen hatte. Durch die Wassermengen, die aus den tiefhängenden, schwarzen Wolken herabgossen – den Serpentinenweg von der Burg kamen schon wahre Bäche heruntergestürzt –, war der Weg inzwischen stark ausgewaschen worden. Eines dieser Rinnsale hatte den Boden unter den Vorderrädern des Wagens bereits halb weggeschwemmt, und der pferdelose Wagen machte auf einmal einen Ruck nach vorne.
»Nein!«, schrie der Burgkaplan, als er die Gefahr erkannte, »nein!«
Verzweifelt rannte er um den Wagen herum nach vorne und stemmte sich mit aller Kraft dagegen, um ihn aufzuhalten. Aber es war zu spät. Ein erneuter Ruck, und der Wagen fing an zu rutschen, leicht seitwärts, nahm Geschwindigkeit auf, verdrehte sich und war schließlich von einem einzelnen Mann nicht mehr zu bremsen. Er schlitterte seitlich den steilen Abhang hinunter, zog den Burgkaplan mit sich, der sich mit dem Zingulum seiner Soutane am Wagen verheddert hatte, fand keinen Widerstand mehr, überschlug sich mehrfach, stürzte gut dreißig Fuß nach unten und schleuderte seine Fracht, den wertvollen Sarg mit den eingesetzten Glasscheiben, an einen Felsen, wo er in tausend Teile zerschellte und seinen Inhalt, die Gebeine der Heiligen Katharina, über den halben Abhang verstreute. Der Burgkaplan hatte Glück im Unglück und war bis auf ein paar blaue Flecken nicht verletzt. Er lag nun zwischen Knochen und Sargsplittern im Morast. Langsam drehte er sich auf den Rücken und konnte nicht glauben, dass der Fluch der Hexe immer noch so stark war, dass sogar die Kraft einer Reliquie nicht dagegen ankam. Mit größter Mühe kam er auf die Knie und versuchte wie ein vom Wahnsinn Besessener die Knochen des Skeletts wieder einzusammeln, was bei diesem Wetter und dem Schlamm, in dem sie lagen, vollkommen aussichtslos war. Schließlich fand er den Schädel der Heiligen Katharina, nahm ihn in den Schoß, putzte ihn fieberhaft mit dem Ärmel seiner Soutane und blinzelte
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