Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
nicht kritisieren, das steht mir nicht zu und liegt mir fern. Aber Behandlungs- und Heilmethoden, die geprägt sind von Religion oder Astrologie oder einer falschen Tradition, oder noch schlimmer: von Aberglauben und Hexenzauber, schaden dem Kranken. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.«
»Pater Urban war ganz gewiss kein verbissener Verfechter kirchlicher Lehren, was die Behandlung Kranker angeht. Aber eine solche Aussage hätte er gotteslästerlich gefunden.«
Aaron nickte verständnisvoll und hob den Finger: »Lass uns über die Geschichte sprechen und über die Lehren der Alten. Ich besitze einige Abschriften griechischer und römischer Bücher, ebenso von Büchern aus dem Morgenland, die vor über hundert Jahren verfasst worden sind. Sie alle befassen sich mit den Vorgängen im menschlichen Körper und mit der Behandlung von Krankheiten. Die Ägypter, die Griechen, die Römer und die Mauren hatten ein großes Wissen, das im Laufe der Jahrhunderte zum größten Teil vergessen oder vernichtet wurde. Dieses Wissen gilt es zu erwerben, durch das Studium der alten Schriften, und weiterzuentwickeln. Nicht alles mag vielleicht richtig gewesen sein, was sie damals taten, aber in vielem waren sie erfolgreicher, als wir es heute sind. Ein Beispiel. Womit habt ihr im Kloster offene Wunden behandelt? Habt ihr die Instrumente gesäubert, bevor ihr ein Geschwür herausgeschnitten habt?«
»Nein. Pater Urban hat sie in Terpentinöl oder Rosenwasser getaucht. Und offene Wunden haben wir mit Mehl oder Butter oder Honig behandelt.«
»Das stillt zwar die Blutung, aber dennoch entzündet sich die Wunde bisweilen. Und hinterlässt große Narben.« Aaron fasste sich wieder an seine Kopfnaht, die gut verheilte. Dann winkte er Anna zu sich.
»Komm, ich zeige dir etwas.«
Er ging voraus ins Laboratorium, wo ein mannshoher Kessel, mit Rohren und Verdickungen, vor sich hinköchelte und röchelte und zischend an ein paar undichten Stellen Dampf ausstieß. Es roch penetrant nach Wein. Stolz zeigte Aaron auf die Metallkonstruktion. »Siehst du – das ist eine Destillierapparatur. Man könnte meinen, sie stamme aus der Hexenküche eines Alchemisten, nicht wahr? Und – ganz im Vertrauen – der Apparat ist in der Tat aus der Hexenküche eines Alchemisten. Ich habe ihn einem angeblichen Goldmacher in Köln abgekauft.«
Aaron kicherte verschwörerisch und öffnete einen kleinen Hahn, der kochendheiß war. Aaron zuckte kurz zurück und blies auf seine Hand, damit sie nicht verbrannte. Dann wandte er sich wieder dem Apparat zu. Aus dem Hahn tropfte jetzt eine glasklare Flüssigkeit heraus, die er mit einem Gefäß auffing.
»Aus dem Wein, den ich erhitze, gewinne ich durch Verdampfung eine farblose Flüssigkeit, den Vorgang wiederhole ich ein paar Mal, und zwar nach einer Rezeptur von Taddeo Alderotti, einem Freund von mir aus Florenz, der mir diese Apparatur zum ersten Mal gezeigt hat.« Aaron beugte sich über das Gefäß. »Hier, riech mal …«
Ungefragt hielt er Anna das Gefäß unter die Nase, die vorsichtig daran schnupperte. »Es riecht scharf«, meinte sie dann. »Aber nicht unangenehm oder abstoßend, sondern irgendwie aromatisch und rein.«
»Jetzt fragst du dich sicher, wozu ich dieses Wässerchen – die Alchemisten bezeichnen es als aqua ardens, mein Freund Taddeo nennt es Aqua Vitae, Lebenswasser – brauche. Na?«
Aaron ergötzte sich an Annas fragendem Blick.
»Ha! Damit kommen wir zurück zum Ausgangspunkt. Mit dieser Flüssigkeit, verdünnt natürlich, waschen wir unsere Hände, und zwar immer – und ich sage immer! –, wenn wir mit offenen Wunden zu tun haben oder unsere Instrumente säubern müssen, mit denen wir ein Geschwür oder Ähnliches aus einem Körper herausschneiden wollen.«
Er zog einen der Folianten aus dem Regal und schwang ihn fast triumphierend vor Anna herum. »Ich bin durch dieses Werk auf die Idee gekommen. Es ist fast 200 Jahre alt. Und es hat sich bewährt. Wenn ich die Hände und die Instrumente vor der Behandlung mit Aqua Vitae präpariere, stellt sich viel seltener Fieber oder Wundbrand bei Patienten ein. Das war jetzt nur ein Beispiel. Nenne es Lektion eins.«
Er stellte den schweren Folianten wieder ins Regal und atmete tief durch.
»Für heute beenden wir den Unterricht und gehen zur Praxis über. Halt, eins noch, bevor ich’s vergesse: Die Grundregeln für den Umgang mit Patienten. Wie gehst du vor, wenn jemand dich konsultiert und sagt, er sei krank?«
»Nun, ich
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