Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
benötigt werden konnte, auf einem Tuch bereitzulegen. Dies hier war nicht ihre erste schwere Geburt, bei der sie zugegen war. Bei einer normalen Geburt hätte niemand den Medicus gerufen. Erst wenn es Komplikationen gab und die Hebamme sich keinen Rat mehr wusste, wenn Beschwörungen und Bauchwickel nicht mehr halfen, schickte man in aller Eile nach dem Medicus, manchmal sogar mitten in der Nacht, Anna hatte das in den Wochen, in denen sie jetzt bei ihm war, schon des Öfteren erlebt. Von Aaron erwartete man dann Wunderdinge, zu denen auch er nicht fähig war, besonders dann, wenn man ihn zu spät gerufen hatte.
Aaron beugte sich zur Gräfin hinunter. Mittlerweile war ihr Atem flacher geworden. »Ist das Fruchtwasser schon abgegangen?«, fragte er.
»Ja«, kam es schwach zurück. »Schon lange. Aber das Kind will nicht heraus.«
»War Blut dabei?«, fragte er die Amme an Ottgilds Seite.
»Ja, aber nicht viel«, antwortete die Amme.
Aaron sah Ottgild wieder an. »Wie lange liegt Ihr jetzt schon in den Wehen?«
Sie antwortete: »Diese Nacht und einen halben Tag.«
»War der Feldscher oder ein anderer Medicus schon bei Euch?«
»Die Amme …«, der Graf zeigte auf die Dienerin, die neben Aaron stand, »… hat nach dem Feldscher geschickt, als ich nicht da war. Er wollte meine Frau zur Ader lassen, aber ich kam gerade noch rechtzeitig und habe es ihm verboten. Als er darauf bestand, habe ich ihn hinausgeworfen.«
»Daran habt Ihr gutgetan«, meinte Aaron.
Er nahm beruhigend Ottgilds Hand und tätschelte sie. »Ich untersuche Euch jetzt, Gräfin. Bleibt ganz ruhig, es wird alles gut werden.«
Er schob die Decke von ihrem Körper und tastete konzentriert den angeschwollenen Bauch von allen Seiten ab. Dann streckte er die Hand nach dem Horchrohr aus, das Anna schon bereithielt und ihm reichte. Behutsam begann Aaron, den Bauch der Schwangeren abzuhören. Schließlich setzte er das Horchrohr ab und fragte die Amme: »In welchem Abstand kommen die Wehen?«
»Das ist verschieden. Mal kurz hintereinander, dann ist es wieder so lange ruhig, dass man meinen könnte, es sind gar keine Wehen.«
Aaron machte ein nachdenkliches Gesicht.
Ottgild fasste ängstlich nach seiner Hand. »Verliere ich auch dieses Kind? Sagt mir die Wahrheit, Medicus!«
Aaron räusperte sich, nahm kurz der Amme das Tuch aus der Hand und wischte die Schweißperlen von Ottgilds Stirn.
Er sagte: »Ich will euch nichts vormachen, Gräfin. Euer Kind lebt. Aber es ist schon sehr schwach. Und es liegt falsch, es liegt seitlich. Deshalb kann es nicht auf natürlichem Weg herauskommen. Ich befürchte, ich habe nicht mehr die Zeit, um zu versuchen, es von außen in die richtige Lage zu bringen.«
Aaron stand auf und nahm den Grafen beiseite, so dass Ottgild nicht hören konnte, was er sagte. »Graf, es bleibt mir keine andere Wahl, als eine Methode anzuwenden, bei der das Leben des Kindes unter Umständen gerettet werden kann, aber das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. Wenn ich nichts unternehme, werden es beide nicht überleben. Soll ich es trotzdem versuchen?«
Ottgild krampfte wieder. Ein schmerzvoller, schriller Schrei, der allen durch Mark und Bein ging, löste sich aus ihrem Mund.
»Um Gottes willen, Meister Aaron, helft ihr! Tut alles, was Ihr könnt!«, brach es aus dem Grafen heraus, dem wie seiner Frau die Schweißperlen auf der Stirn standen.
»Dann ist es also beschlossen!«, sagte Aaron und packte seine Instrumente aus. »Ich brauche so viel Licht wie möglich. Lasst alle Kerzen bringen, die Ihr habt.«
Die Amme an seiner Seite, eine ältere, besonnene Frau, winkte einer jungen Dienerin, die so still in der dunklen Ecke stand, dass niemand auf sie geachtet hatte. Das Mädchen rannte davon.
»Eine zweite Wasserschüssel, schnell!«, rief Anna, aber in dem Moment kam schon die Kammerzofe, der sie vorher begegnet waren, und brachte frisches Wasser und Tücher.
Anna gab Aqua Vitae in die Schüssel, tauchte ein frisches Tuch hinein und wischte Aarons Instrumente damit ab, es waren Messer und Zangen verschiedener Größe aus glänzendem Metall, die sie auf einem Tuch griffbereit legte.
Aaron zog seinen Umhang aus und ließ sich von Anna die Ärmel seiner weißen Tunika bis über die Ellenbogen nach oben krempeln. Auch Anna entledigte sich ihres hinderlichen Kapuzenumhangs und legte weitere Tücher bereit. Das Mädchen kam zurückgeeilt und brachte Kerzen mit, so viel sie tragen konnte. In aller Eile drapierten sie die Kerzen um
Weitere Kostenlose Bücher