Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
überzeugen. Du bist jetzt die offizielle Medica der Gräfin. Ich gratuliere. Der Feldscher auf der Burg wird außer sich sein vor Wut und Eifersucht, aber der Graf will es so. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand in so jungen Jahren eine Medica geworden ist. Was sagst du dazu?«
Ungläubig drehte und wendete Anna das Schreiben mit dem gräflichen Siegel in der Hand und konnte nicht glauben, was der Medicus gesagt hatte.
»Ich weiß nicht«, brachte sie schließlich heraus und musste kräftig schlucken, »das ist eine große Verantwortung …«
»Allerdings«, antwortete Aaron. »Ich habe mich für dich verbürgt. Aber deine Hilfeleistung bei der Geburt war … sagen wir mal: dein Meisterstück. Du bist zwar noch jung und dir fehlt es an Erfahrung, aber an Kaltblütigkeit und an Fachkenntnis übertriffst du jeden Bader, den ich auf dem Marktplatz beim Zähneziehen gesehen habe, um Längen.«
»Mit Verlaub – es gibt doch wesentlich anspruchsvollere Behandlungen als Zähne zu ziehen, von denen ich keine Ahnung habe.«
»Das wirst du schon noch alles lernen. Du hast eine natürliche Begabung für unseren Beruf, lass dir das gesagt sein, Anna Ahrweiler. Medica zu sein – das ist deine Bestimmung. Ich bin schon so lange in diesem Metier, mir macht keiner ein Alpha für ein Omega vor. Im Übrigen – Zähne ziehen ist gar nicht so einfach, wenn man es richtig machen will.«
Aaron ordnete seine Instrumente weiter ein, und Anna half ihm dabei.
Als sie sich dabei bückte, meinte Aaron missbilligend: »Vielleicht achtest du darauf, dass du einen anständigen Eindruck machst, schließlich gehst du nicht bei irgendwelchen Leuten aus und ein. Bitte Rebecca, dass sie dir hilft, deine, nun, etwas ausgefallene Haartracht mit der Schere allmählich in eine Form zu bringen, die nicht auf Anhieb verrät, dass sie dich aus einem Kloster geworfen haben.«
Anna verdrehte die Augen. Von seinem Spott konnte der Medicus einfach nicht lassen. Sie griff nach dem teuren Spiegel, der im Regal lag, und betrachtete ihr Konterfei. Noch ein oder zwei Wochen, und ihre Igelhaare wären endlich einigermaßen ausgewachsen. »Das wird nicht mein größtes Problem sein«, sagte sie.
»Oh nein«, gab ihr Aaron recht. »Aber erstens ist es besser, wenn niemand deine Herkunft errät und falsche Schlüsse zieht oder gar unangenehme Fragen stellt. Und zweitens geht es um dein Auftreten. Du bist kein Niemand mehr. Du bist von jetzt an eine respektable, angesehene Person, vergiss das nicht. Sogar mit gräflichem Segen. Bemühe dich also stets, deiner neuen Stellung auch äußerlich gerecht zu werden. So, haben wir schon Patienten?«
Anna legte den Spiegel wieder an seinen Platz zurück und wagte es, Aaron aus einer überschwänglichen Dankbarkeit heraus zu umarmen, wenn auch nur kurz. Der war so perplex von dieser unerwarteten Geste, dass er endlich einmal sprachlos war.
»Danke für Euer Vertrauen. Und dafür, dass ich von Euch lernen darf, Meister«, sagte sie und machte, dass sie aus dem Laboratorium kam.
XV
A m nächsten Morgen machte sie sich zum ersten Mal allein auf den Weg nach Burg Landskron. Es regnete wieder einmal. Aber es war ein normaler Landregen im Wonnemond, kein Unwetter, wie sie es erlebt hatte, als sie mit Aaron vor langer Zeit – so kam es ihr inzwischen vor – im Monat Lenzing nach Oppenheim gekommen war. Trotzdem waren die Straßen von den vielen Leuten und Fuhrwerken, die in die Stadt strömten, im Nu verschlammt. Es war Markttag, und sie musste sich mühsam ihren Weg durch das Gewimmel in den Gassen bahnen.
Oppenheim war eine bedeutende Handelsstadt, und entsprechend rege ging es trotz des schlechten Wetters zu. Schiffe auf dem Rhein brachten Güter aus aller Herren Länder, an den zahllosen Ständen wurden nicht nur Gemüse und Obst, Fleisch, Fisch und sonstige Lebensmittel angeboten, auch mit Tüchern aus England, Wein, exotischen Früchten und Spezereien wurde gehandelt. Es herrschte ein ungeheurer Lärm, schreiende Händler boten ihre Waren feil, Hühner waren gackernd aus einem Stall entlaufen und wurden wieder eingefangen, Schweine grunzten in ihren Pferchen, keifende Marktweiber stritten um die besten Plätze und ein fluchender Kaufmann versuchte verzweifelt, seine wertvollen Waren vor dem Regen zu schützen, als sich bei einem der überdachten Stände eine Stütze löste und sich ein Schwall Regenwasser über einen Stapel feinster Tuchwaren ergoss.
Ein einziges Chaos, das aber trotzdem gewissen Regeln
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