Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
Schildwache in der gräflichen Uniform auf sie zukam.
»Halt, was willst du hier?«, sprach der Mann sie barsch an und hielt ihr seine Lanze vor die Brust.
Anna dachte an den Rat des Medicus, stellte sich aufrecht hin und bemühte sich, so viel Gewicht in ihre Stimme zu legen, wie es ihr möglich war. »Mein Name ist Anna Ahrweiler. Ich bin die Medica der Gräfin, und du würdest gut daran tun, mich auch als solche zu behandeln. Hier, lies das.«
Mit diesen Worten drückte sie dem misstrauischen Wachsoldaten den Brief mit dem Siegel des Grafen in die Hand. Beim Anblick des Siegels änderte sich sein Verhalten schlagartig.
»Verzeiht, Medica, das wusste ich nicht. Soll ich Euch begleiten?«, fragte er höflich.
Anna nahm ihm den Passierschein wieder aus der Hand und steckte ihn in ihren weiten Ärmel für den Fall, dass sie ihn noch einmal vorzeigen musste.
»Nein, das ist nicht nötig. Ich kenne den Weg und werde erwartet«, sagte sie forsch, ließ die Wache stehen und stolzierte, die schwarze Kapuze über dem Kopf und den ledernen Ranzen über der Schulter, die Zugbrücke entlang durch das Haupttor in den Zwinger, den äußeren Ring der Burg.
»Lasst sie passieren, sie ist die Medica der Gräfin!«, schrie der Wachsoldat seinen Kameraden zu, die am Tor standen.
Was so ein Brief und ein Titel doch ausmachen, wunderte sich Anna, während sie schnurstracks durch das Tor schritt und von niemandem aufgehalten wurde.
Durch das Tor der Schildwache gelangte sie in den inneren Burghof. Staunend sah sie sich um: Wie eindrucksvoll und majestätisch hier alles war. Und was für ein Gegensatz zu dem Chaos in der Stadt. Zwar wimmelte es auch hier von Bediensteten und Bewaffneten, aber jeder schien eine Aufgabe zu haben, ging seiner Wege oder irgendeiner Tätigkeit nach. Niemand hielt sie auf und fragte sie nach ihrem Begehr. Sie versuchte, den Eindruck zu vermeiden, dass sie zum ersten Mal im Hof von Burg Landskron war, und begab sich zum Eingang des wuchtigen Palas im Zentrum des Hofes. Auch davor stand eine mit einer Hellebarde bewaffnete Wache, allerdings mit dem staufischen Wappen auf der Uniform. Ungefragt hielt sie dem Mann ihren gräflichen Brief entgegen. Die Wache warf nur einen kurzen Blick darauf und öffnete ihr ohne ein weiteres Wort die schwere Eichenholztür.
Als die Tür hinter Anna wieder zufiel, befand sie sich in der gewaltigen Empfangshalle. Es war düster und rauchig in dem Raum. Dicke Säulen und Kreuzrippengewölbe erinnerten an das Schiff einer Kirche. Der Saal war rechteckig gebaut, ein mannshoher und sicher zehn Fuß breiter Kamin, in dem ein Feuer flackerte, befand sich in der Mitte der hinteren Wand, davor ein schwerer, langer Tisch in umgedrehter U-Form, der die halbe Halle für sich beanspruchte. An der Stirnseite, mit dem Rücken zum Kamin, standen hohe Lehnsessel für die Herrschaften, an den Seitentischen Bänke für die Gäste. Die Seitenwände des Saals waren mit kostbaren Bildwirkereien behängt. Staunend blieb Anna vor einem besonders prächtigen Wandteppich stehen. Er zeigte furchterregende Fabeltiere, die von einem unerschrockenen Ritter bekämpft wurden.
In der menschenleeren Halle war kein Geräusch zu hören, bis auf das Knistern und Knacken des Kaminfeuers.
Anna machte einen Schritt zurück, um die Bildwirkerei mit dem Drachen und der geflügelten Riesenschlange genauer zu betrachten.
In diesem Augenblick vernahm sie hinter sich ein schnelles Tapsen auf dem strohbedeckten Boden, wie von den Pfoten eines Hundes. Sie wollte sich noch herumdrehen, aber es war schon zu spät. Irgendetwas Großes sprang sie mit furchtbarer Wucht an und riss sie zu Boden.
Sie schrie vor Schreck auf, hörte ein tiefes Knurren und Fauchen und wähnte sich in den Fängen eines Ungeheuers. Sie wälzte sich herum und stieß ihre Arme nach oben, um das vermeintliche Ungetier, das sich ihrer bemächtigen wollte, abzuwehren. Was sie sah, war eine große, schlanke Raubkatze mit dicken Pfoten, schmalem Kopf, kleinen Ohren und langem Schwanz, das Fell löwengelb mit schwarzen Flecken. Das Tier fauchte und bleckte die Fangzähne über Annas Gesicht, in höchster Not schlug sie um sich und erwischte etwas, das um den Hals des wilden Tieres geschlungen war. Es war tatsächlich ein Lederhalsband. Damit konnte sie die fauchende Raubkatze wenigstens von ihrem Gesicht weghalten. Aber das Tier war stark und wehrte sich, zog und schüttelte den schmalen Kopf, um sich von Annas Griff zu befreien. Die Krallen, mit
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