Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
regelmäßig von dort mit Waren eindeckt, der besorgt die Briefe. Mein Vetter wohnt in einer Stadt, in der Christen, Juden und Mauren offenbar friedlich nebeneinander leben und arbeiten. Die Christen haben ihre Kirchen, die Mauren ihre Moschee und die Juden ihre Synagoge. Jeder kann seiner Religion nachgehen, ohne bei den anderen auf Unwillen, Abwehr oder gar Hass zu stoßen.«
»Klingt nach dem himmlischen Jerusalem«, sagte Anna mit einem tiefen Seufzer. »Wo soll diese Stadt sein?«
»In Kastilien. Sie heißt Toledo. Außerdem soll es dort wesentlich wärmer sein als hier in Oppenheim, schreibt mein Vetter«, sagte Aaron und lächelte.
»Wie lange ist man bis dahin unterwegs?«
»Oh, ich denke, wir reisen nicht über Land. Wir werden mit allem, was wir mitnehmen, auf ein Schiff gehen und den Rhein hinunterfahren bis nach Nimwegen. Von dort suchen wir uns ein Schiff, das uns nach Hispanien mitnimmt. Dort sehen wir weiter. Ich rechne mit drei oder vier Monaten, bis wir dort sind.«
»Und wann wollt Ihr aufbrechen?«
»Sobald das Geschäftliche abgeschlossen ist und verbrieft und besiegelt. Graf von Landskron hat mir zugesichert, dass alles ganz schnell gehen wird. Das Schiff wartet von heute ab zwei Tage. Ich kenne den Kapitän, er ist mir noch einen Gefallen schuldig.«
Aaron stand auf. Und war mit einem Mal, fand Anna, in seiner Tatkraft und seinem unbedingten Willen wieder ganz der Alte.
»Bis dahin haben wir noch eine Menge zu tun. Aber eines lege ich euch unter allen Umständen ans Herz: Kein Wort zu niemandem! Habt ihr mich verstanden?«
Die drei Frauen sahen sich bang an und nickten.
»Jetzt macht nicht so lange Gesichter«, sagte Aaron entschlossen. »Ich kann verstehen, dass ihr nicht gerade in Freudentaumel ausbrecht. Aber es ist niemand gestorben. Es wird schon alles werden.«
Damit verließ er die Küche.
XX
A aron begann, im Laboratorium Arzneien und Bücher in eine Truhe zu packen, die er unbedingt in sein Exil mitzunehmen gedachte. Er hatte dafür sogar eine Liste angefertigt. Doch schon nach kurzer Zeit sah er ein, dass dies ein sinnloses Unterfangen war. Wenn er alles mitnehmen wollte, was er verzeichnet hatte, würde er noch an Chanukka mit Packen beschäftigt sein. Er seufzte angesichts dieses Dilemmas, als Anna hereinkam, und kratzte sich nachdenklich am Kopf.
»Ich habe nicht mehr viel Zeit«, sagte er und breitete die Arme in einer hilflosen Geste aus. »Aber sieh dir das hier an … ich kann unmöglich alles mitnehmen, was ich mitnehmen müsste. Ich habe schließlich ein ganzes Leben lang gebraucht, um die Sachen anzusammeln. Ich glaube, es ist das Beste, ich packe nur ein paar Bücher und andere persönliche Dinge ein und lasse den ganzen Rest hier. Sonst brauche ich drei Fuhrwerke statt einem.«
Er setzte sich resigniert. »Vielleicht ist es ohnehin besser, wenn ich mich von allem trenne. Je weniger wir mit uns schleppen, desto einfacher wird die Reise.«
Anna nahm ihm gegenüber Platz und sah ihn voller Sorge an.
»Bist du mir böse?«, fragte er sie. »Immerhin habe ich dich ganz schön überfahren. Und über deinen Kopf hinweg entschieden, ohne dich zu fragen. Aber die Zeit drängt.«
»Ich glaube kaum, dass ich die Tragweite Eures Entschlusses übersehen kann, Meister. Und es fällt mir schwer, Eure Entscheidung zu verstehen«, antwortete Anna.
»Ich weiß, Anna, ich weiß«, sagte Aaron und rieb sich in einer müden Geste über das Gesicht. »Aber es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Ihr könnt die politische Lage sicher besser einschätzen als ich«, meinte Anna. »Aber eines wüsste ich indes gerne. Ihr steht unter dem Schutz des Grafen. Er kann doch nicht zulassen, dass in seiner Grafschaft das getan wird, was der Erzbischof will.«
»Es ist eine ganz einfache Rechnung«, erklärte Aaron. »Eine Rechnung, die jeder Kriegsherr anstellen muss, bevor er in die Schlacht zieht. Und der Graf ist ein erfahrener Kriegsherr, der nicht sinnlos das Leben seiner Soldaten aufs Spiel setzt, wenn er vor der Schlacht abschätzen kann, dass der Gegner zahlenmäßig weit überlegen ist. Und das ist Konrad von Hochstaden. Dank seiner Macht und vor allem dank seines Reichtums kann er in kürzester Zeit ein riesiges Heer aufstellen. Ich weiß nicht, wie viele Ritter und Edelmänner ihm verpflichtet sind und sich ihm im Kriegsfall mitsamt ihren Soldaten zur Verfügung stellen müssen, wenn er als Lehnsherr es fordert. Aber er kann in jedem Fall über genügend Männer verfügen,
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