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Das Geheimnis der Mondsänger

Das Geheimnis der Mondsänger

Titel: Das Geheimnis der Mondsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Norton
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Oskolds Sohn ohne Waffen einander gegenübergestellt, so wäre letzterem eine Überraschung nicht erspart geblieben. Mein kleines Volk begeisterte ihn, und auch er gefiel ihnen. Das erwärmte mich für ihn. Denn unsere Tiere können im Innern eines Menschen lesen. Fafan, die vor Fremden sehr schüchtern ist, legte bei der ersten Annäherung ihre Pfote in seine Hand und rief ihm nach, als er ging, so daß er nochmals umkehrte und besänftigend auf sie einsprach.
    Ich hätte diesen Mann und seinen Begleiter gern näher ausgeforscht, doch Otjan, einer der Botenjungen, brachte die Kunde von einem Barsk in harter Gefangenschaft, und ich mußte gehen. Vorlund bat mich, mitkommen zu dürfen, und ich gestattete es ihm, weshalb, das weiß ich selbst nicht. Vielleicht wollte ich noch mehr von ihm erfahren.
    Und am Ende rettete er mich durch seine Schnelligkeit, denn jener Schinder, Othelm von Ylt, hätte sein Klauenmesser gegen mich erhoben. Doch Vorlund benutzte seine fremdländische Waffe, die weder töten noch großen Schaden anrichten kann, sondern einen Angreifer nur kampfunfähig macht. Dadurch hatte ich Zeit, die Natter mit meinem Stab zu bannen. Mit der Hilfe des Fremdlings brachten wir den Barsk zurück und sorgten dafür, daß er gut untergebracht wurde. Aber ich erkannte, daß ich mich konzentrieren mußte, wenn ich jenen hoffnungslos Kranken pflegen wollte, und ich entließ die Händler ungeduldig.
    Als sie fort waren, wandte ich Molasters ganze Künste an, um dem Barsk zu helfen. Ich fand, daß man den Körper vielleicht heilen konnte, doch die Gedanken waren so von Schmerz und Angst umhüllt, daß ich den Kontakt zu seinem Innern vielleicht nie würde herstellen können. Doch ich brachte es auch nicht über mich, ihn schon jetzt auf den Weißen Weg zu schicken. Ich gab ihm Schlaf ohne Träume, damit seine Glieder und sein Körper heilen konnten und der Schmerz von seinen Gedanken genommen wurde.
    »Es hat keinen Sinn«, sagte mir Malec bei Morgengrauen. »Du wirst ihn in der Welt des Schlafes lassen müssen.«
    »Vielleicht, aber warten wir noch eine Weile. Da ist etwas …« Ich saß am Tisch, gebeugt von der Müdigkeit, die Arme und Beine wie aus Blei erscheinen läßt und die Gedanken abtötet. »Da ist etwas …« Aber die Last meiner Müdigkeit ließ es nicht zu, daß ich tiefer nachforschte. Statt dessen stolperte ich auf meine Liege und schlief sofort ein.
    Die Thassa können wahre Dinge träumen, aber nur unter besonderen Umständen. Was ich in den Tiefen des Schlafes sah, war eine Rückkehr von Erinnerungen, die weiterflossen und sich grotesk mit der Gegenwart vermischten, um eine mögliche Zukunft hervorzubringen. Denn zuerst hielt ich in den Armen eine, die in dunkler Verzweiflung weinte – in einer Verzweiflung, für die es keinen Trost gab. Und ich sah einen, in dessen makellosen, jugendfrischen Leib keine Vernunft wohnte. Dann ging ich neben dem jungen Handelsschiffer, aber nicht wie letzten Abend über den Markt, sondern zu einem Ort in den Bergen, den ich mit Angst und Schmerzen kannte.
    Aber der Mann wurde zum Tier, und neben mir schritt der Barsk, der sich hin und wieder umdrehte und mich mit kalten Augen ansah. Erst las ich Drohung darin, dann Bitten und schließlich Haß. Aber ich ging ohne Furcht – nicht wegen meines Stabes, denn den besaß ich nicht mehr – weil das Tier durch eine unlösbare Fessel mit mir verbunden war.
    Und in dem Traum war alles ganz klar und hatte eine bestimmte Bedeutung. Als ich jedoch erwachte, mit einem dumpfen Schmerz hinter den Lidern und einem immer noch matten Körper, war die Bedeutung fort, und nur die niederdrückende Erinnerung an den Traum blieb.
    Aber nun weiß ich, daß der Traum, der in der Tiefe meines Bewußtseins lag oder dort erwacht war, einen bestimmten Zweck hatte und so lange wuchs, bis er meine klaren Gedanken beeinflußte. So schreckte ich auch nicht zurück, als der Moment kam und ich die Gedanken in die Tat umsetzen mußte, denn sie waren so gewachsen, daß sie mein ganzes Sein erfüllten.
    Der Barsk lebte noch, und meine tastenden Gedanken spürten, daß sein Körper heilte. Aber wir ließen ihn in seinem tiefen Schlaf, weil das im Augenblick das beste für ihn war. Als ich den Vorhang über den Käfig fallen ließ, hörte ich das metallische Klirren, das von Magnetstiefeln herrührte, und ich drehte mich etwas zu hastig um, in der Hoffnung, den Freien Handelsschiffer zu sehen. Doch es war Slafid, der allein hereinkam.
    »Das Morgenlicht

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