Das Geheimnis der Mondsänger
von Osokun mit dem Fremdling geschah. Dann kam ein Bote, und Osokun und seine Männer ritten im Morgengrauen fort.
Den Fremdling konnte ich nicht erreichen. Zwischen uns stand eine Schranke, die ich mit Gewalt vielleicht hätte brechen können, aber ich wagte es nicht, meine Kräfte so zu beanspruchen. Ich konnte sehen, daß der Geist, der in ihm wohnte, stark war und nicht so leicht aufgab. Was ich für ihn tun konnte, tat ich, indem ich die Kräfte so verschob, daß sie ihm Glück brachten. Allerdings mußte die Initiative von ihm selbst ausgehen.
Dann kehrte ich von jenem Ort zurück, der nur zum Teil zu Yiktor gehörte. Die Morgendämmerung war hereingebrochen, und meine Mondlaterne verströmte nur noch ein blasses Licht. Für den Augenblick wußte ich, daß ich warten mußte. Und das Warten ist meist die größere Last als das Weiterziehen.
Es verging ein langer Tag. Wir schliefen abwechselnd. Ich brannte darauf zu erfahren, ob ich etwas für jenen erreicht hatte, der in der Festung lag. Aber, obwohl ich Sängerin bin, habe ich nicht die Macht der Alten, deren Sicht die halbe Welt durchdringen kann, wenn es nötig ist.
Ich ging zum Wagen und pflegte den Barsk. Er erwachte und fraß etwas, nippte auch am Wasser, aber nur, weil mein Wille ihn dazu zwang. Er war jetzt sehr apathisch. Malec hatte recht, dachte ich mit Sorge. Wahrscheinlich war es das beste, ihn auf den Weißen Weg zu schicken – aber ich konnte mich nicht dazu überwinden.
Die Nacht kam, doch sie war noch nicht zur Hälfte vorbei, als der Mond sich verschleierte und dunkle Wolken sich zusammenballten. Meine Kleinen kamen zu mir, und ich tröstete sie in der Dunkelheit. Der Sturm zog kurz vor der Morgendämmerung herauf, so daß es gar nicht richtig Tag wurde. Wir fanden einen kleinen Felsüberhang und kauerten uns dort zusammen, während Blitze über den Himmel zuckten und der Donner rollte. Ich hatte solche Stürme schon im Hochland der Thassa erlebt, jedoch nie so nahe der Ebene.
In diesen Augenblicken sind Zeit und Mensch verloren, und die Denkfähigkeit wird schwächer. Ich spürte die Wärme der Felle um mich, und ich sprach sanft mit meinen Kleinen. So besiegte ich meine eigene Unrast.
Schließlich erschöpfte sich die Gewalt des Sturmes. Und in diesem Moment empfing ich eine Botschaft, keinen klaren Ruf, sondern ein Flüstern, das schwach in meinen Gedanken auftauchte. Ich ging mit meinen Kleinen an den Teich und holte die Mondlaterne von dem Stein, der jetzt im Wasser stand. Ich suchte mir einen Platz, wo das Gras weniger dicht wuchs und wo Felsblöcke in die Höhe ragten. Auf einen dieser Steine stellte ich die Mondlaterne und ließ sie leuchten, so als könnte sie für jemanden Signal sein. Aber etwas Genaueres wußte ich nicht. Lediglich der Glaube wuchs in mir, daß der, den ich suchte, von dem Schein angezogen werden könnte, falls er das Glück hatte, aus der Festung zu entkommen.
Simmle knurrte und stand auf. Sie entblößte ihre Zähne. Borba und Vors hoben die Köpfe, die Haarbüschel flach zwischen die Ohren gepreßt. Und Tantacka ging knurrend auf und ab.
Den Hang hinunter wankte eine Gestalt, die sich an Büschen und Felsen festhielt, um nicht zu stürzen. Mühsam kam der Mann näher, immer näher, bis er im Lichtkreis der Mondlaterne zusammenbrach. Ich beugte mich über den zusammengesunkenen Körper.
Das Gesicht war schlammverschmiert, verkratzt, aufgeschwollen. Aber es war das Gesicht, das ich erwartet hatte. Der Fremdling hatte den Weg aus Osokuns Festung und durch die Hügel gefunden. Jetzt konnte ich meine Schuld zurückzahlen. Aber wie? Denn es war gut möglich, daß er von einer Gefahr in eine weit größere gestolpert war. Wir standen an der Grenze von Oskolds Land, wo niemand seinen Befehlen entrinnen konnte. Krip Vorlund war in tiefer Bewußtlosigkeit. Wie der Barsk schlief er und war dem Weißen Weg sehr nahe. Und so verging der größte Teil des Tages.
KRIP VORLUND
8
Ich hörte einen Gesang, dunkel und tief, ein Gurren, das in meinen Ohren klang wie der Wind, den der Raumgeborene so selten spürt. Und ich wurde zurückgezogen in die Welt, die ich verlassen wollte, Körper und Seele wurden wiedervereint. Als ich die Augen öffnete und um mich sah, befand ich mich in merkwürdiger Gesellschaft. Dennoch, ich war nicht erstaunt. Es war, als hätte ich genau dieses Bild erwartet – das Mädchengesicht mit dem Silberhaar, welches unter der Kapuze hervorquoll, dazu die Pelzgesichter mit ihren
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