Das Geheimnis der Mondsänger
sie lauter und lauter, bis wir alle von dem einen Gedanken ergriffen und vorwärtsgetrieben wurden.
Ich marschierte in der Reihe der Tiere, und ich dachte nur daran, den Hunger zu stillen, der durch Maelens Gesang in mir nagte.
Und dann lagen wir im Versteck und sahen auf das Lager hinunter. Es schien verlassen bis auf die Kasi, die unruhig stampften. Aber wir spürten, daß jene, die wir jagten, noch da waren.
Wieder sang Maelen, oder ich hörte noch das Echo ihres ersten Liedes. Sie stand auf und ging auf die Wagen zu. Im Mondlicht hatte ihr Stab wie Silber geglänzt. Und jetzt, da es wieder Tag war, ging immer noch ein leuchtendes Feuer von ihm aus.
Ich hörte einen Schrei vom Lager. Und dann warfen wir uns auf die Männer.
Die Männer waren es gewohnt, mit Tieren umzugehen, die sich den Menschen unterwarfen. Aber diese Tiere hatten keine Furcht vor ihnen, sondern vereinigten sich, um sie zu vernichten. Ich glaube, das nahm ihnen von Anfang an die Kraft.
Während des ganzen Kampfes sang Maelen. Ihr Gesang trieb uns voran – aber ich weiß nicht, wie er auf die Feinde wirkte. Jedenfalls sah ich zwei Männer, die sich mit sinnlosem Geschrei auf dem Boden wälzten, als sie die Laute hörten. Sie preßten die Hände gegen die Ohren.
Es war schnell vorüber, doch es war ein grausamer Kampf gewesen. Viele des kleinen Volkes mußten ihr Leben lassen, doch das merkten wir nicht, während der Gesang anhielt.
Dann schwieg Maelen, und ich hatte das Gefühl, aus einem entsetzlichen Traum zu erwachen. Ich sah die Toten, und ein Teil in mir wußte, was wir getan hatten. Aber der andere Teil schob die Erinnerungen zur Seite. Maelen stand da, die Blicke starr geradeaus gerichtet, als wollte sie das Chaos nicht sehen.
Ihre Arme hingen schlaff herunter, und in einer Hand hielt sie den Stab. Jetzt war er kalt und leblos. Maelens Gesicht war aschfahl.
Ich hörte einen wimmernden Schrei, und Simmle schleppte sich auf Maelen zu. Blut floß aus einer riesigen Wunde. Dann hörte ich andere Schreie, doch Maelen bemerkte die Not ihrer Schützlinge nicht.
»Maelen!«
Angst stieg in mir auf. War die Thassa nicht mehr bei Sinnen?
»Maelen!« Ich legte meine ganze Kraft in diesen Gedanken.
Sie regte sich, fast zögernd, als wollte sie nicht aus der Leere zurückkehren. Ihre Finger wurden schlaff, und der Stab rollte in den Staub, ein totes Ding. Dann, als sie Simmle sah, kam in ihre Augen wieder Leben. Mit einem verzweifelten Ausruf kniete sie neben Simmle nieder und legte ihr die Hand auf den Kopf. Und ich erkannte , daß sie wieder in der Gegenwart war. Eine Zeitlang kümmerten wir uns nur um die Verwundeten. Von den Geächteten war keiner mehr am Leben, aber auch viele des kleinen Volkes waren getötet worden.
Ich schleppte Wasser vom Fluß, so gut ich es vermochte. Und bei meinem dritten Gang zum Ufer bemerkte ich plötzlich eine Menschenspur. Meine Nase war wieder einigermaßen in Ordnung, und ich nahm die Fährte auf. Doch ich war noch nicht weit gekommen, als Maelen mich zurückrief.
Ich folgte ihrem Befehl nur zögernd. Denn die Spur erschien mir wichtig. Jemand war entkommen, und wenn er eine Armbrust besaß, konnte er uns von weiter oben beschießen. Ich rannte zum Lager, doch bevor ich etwas sagen konnte, erklärte Maelen:
»Ich muß mit dir sprechen …«
»Maelen, am Fluß …«
Sie hörte einfach nicht auf mich, sondern fuhr fort: »Krip Vorlund, ich habe schlechte Nachrichten aus Yrjar.«
Zum erstenmal seit Stunden fiel mir mein eigenes Los wieder ein. Und ich war verblüfft, daß es Mühe kostete, sich von Jorth zu lösen und wieder Krip Vorlund zu werden.
»Der Kapitän der Lydis wandte sich an das Markttribunal, nachdem man dich entführt hatte. Einer deiner Schiffsgefährten wurde niedergeschlagen und liegengelassen, weil man ihn für tot hielt, doch er erholte sich und konnte aussagen. Er erkannte das Wappen Oskolds, als man es ihm zeigte. Das war ein Fall für die Höhere Justiz, und eine Gruppe von Beamten begab sich zu Oskold, wo man deinen Körper fand. Man brachte ihn zurück nach Yrjar, in dem Glauben, die Behandlung Osokuns habe dich zum Wahnsinnigen gemacht. Der Arzt der Lydis sagte, daß man nur auf anderen Welten Heilung suchen könne …« Sie machte eine Pause und starrte durch mich hindurch. »Und so startete die Lydis mit deiner Hülle an Bord. Das ist alles, was ich erfahren konnte. Es geht merkwürdig turbulent in der Stadt zu.«
Irgendwie wußte ich, daß sie die Wahrheit sagte. Aber
Weitere Kostenlose Bücher