Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
Grauen, das sich vor ihren Augen abspielte wie ein Autounfall in Zeitlupe.
»Genug jetzt«, wiederholte Jack. »Wir haben gesagt, dass wir heute abreisen. Wir hielten es alle für das Beste.«
»Aber es ist noch nicht einmal einen Monat her. Toms Leben ist völlig auf den Kopf gestellt«, gab Diane zu be denken.
»Dad hat recht.« Tom straffte entschlossen die Schultern. »Wenn wir noch länger warten, wird es nur noch schlimmer.«
»Und wenn du jetzt nicht aufhörst zu heulen, wirst du den Weg zum Auto nicht mehr erkennen«, mahnte Jack.
»Lass mich wenigstens deinen Koffer tragen«, sagte Tom und trat aus der Haustür.
»Und was ist mit Libby?«, schluchzte Diane.
»Sie ist gut im Wohnzimmer aufgehoben. Und ich leg den Keil in die Tür.«
Kaum waren die drei außer Sichtweite, war ein Laut
aus dem Wohnzimmer zu hören. Ein Laut, der Holly in diesem Haus so fremd vorkam, dass sie vor Schreck die Türklinke losließ, als wäre sie elektrisch geladen wie die Monduhr.
Sie war im Begriff sich umzudrehen und wegzulaufen, aber das Weinen eines Babys hielt sie davon ab. Es berührte sie, obwohl Babygeschrei sie bisher nie berührt hatte. Neugierig trat Holly auf den Flur hinaus und ging ins Wohnzimmer.
Das Baby lag in einer Babyschale im Erker. Es sah sie mit großen, wachen Augen an, die Toms blassgrünen Augen zum Verwechseln ähnlich waren. Bei Hollys Anblick hörte das Baby nicht nur auf zu weinen, sondern es entspannte sich und wurde vollkommen still und friedlich. Das kleine Mädchen war das bezauberndste Geschöpf, das Holly je gesehen hatte. Es hatte feine blonde Haare, einzelne Löckchen fielen ihm in die Stirn. Die Bäckchen waren kugelrund, und der rosa Mund hatte eine niedlich geformte Oberlippe. Holly konnte nicht widerstehen und berührte das kleine Engelsgesicht. Das Baby folgte ihrer Hand mit dem Mund, und suchte nach Nahrung.
»Was hast du kleines Wunder in diesem Alptraum zu suchen?«, flüsterte Holly. Das Baby strampelte und gurrte, und Holly streckte unwillkürlich die Arme nach ihm aus. Sie stutzte nur einen Moment, als das Verlangen, das Kind im Arm zu halten, sie überwältigte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals ein Baby im Arm gehalten oder auch nur den Wunsch gehabt zu haben, so etwas zu tun.
Holly schob die Hände unter den Körper des Babys, ihre Finger glitten über die weiche, warme Decke, in die
es eingehüllt war. Sie wollte es hochnehmen, doch ihre Hände griffen ins Leere und fanden keinen Widerstand. Sie war verärgert, denn sie wollte das Kind um jeden Preis im Arm halten. Doch es nützte alles nichts, das Baby blieb fest in seiner Schale liegen, und als es Hollys Enttäuschung spürte, fing es wieder an zu schreien, noch lauter als vorher.
»Ich komme«, rief Toms geisterhafte Stimme. Holly hörte, wie er den Flur hinunter in die Küche lief.
Sie geriet in Panik, trat einen Schritt von der Babyschale zurück und sah sich nach einem Versteck um, wobei ihr Blick einen Stoß Beileidskarten auf dem Kaminsims streifte. Sie hastete zur Terrassentür, die in den Wintergarten führte, und konnte gerade noch in seinen Schatten schlüpfen, als Tom mit einer Babyflasche in der Hand erschien.
Er nahm die Kleine hoch und setzte sich mit ihr auf das Sofa, um sie zu füttern. Er saß Holly direkt gegenüber, und obwohl sie nicht völlig verdeckt war, schien er sie nicht zu bemerken.
»Jetzt sind wir beide allein«, seufzte Tom, während das Baby gierig an der Flasche nuckelte.
Stille breitete sich aus, nur das Schmatzen des Babys und Hollys stockender Atem waren zu hören. Sie dachte, Tom könnte sie unmöglich überhören, aber er nahm sie immer noch nicht wahr. Sie spürte, wie sie langsam in eine beinahe wohltuende Schockstarre fiel. Ihr Verstand hatte es bereits aufgegeben, nach einer Erklärung dafür zu suchen, was hier vorging. Sie konzentrierte sich lieber auf Libbys regelmäßiges, zufriedenes Schmatzen, das eine beruhigende Wirkung auf sie ausübte.
»Ich weiß, dass du hier bist, Holly«, sagte Tom. Holly überlief es kalt. Wie in Trance trat sie aus dem Schatten ins Zimmer.
»Ich bin hier, Tom.«
Tom sah zur Terrassentür, knapp an Holly vorbei, wieder mit diesem leeren Blick. Worauf er ihn auch richten mochte, es lag außerhalb dieser vier Wände. »Ich hoffe, du siehst mich. Ich hoffe, du hörst mich. Weil ich ohne dich nämlich nicht weiterleben kann.« Toms Stimme verlor sich in einem heiseren Flüstern, er kniff die Augen zusammen, um die Tränen
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