Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
zurückzuhalten.
Holly stürzte zu ihm, kniete sich vor ihm hin, packte ihn an den Armen, damit er die Augen öffnete und sie sah. »Ich bin hier, Tom! Sieh mich doch bitte, bitte an«, schluchzte sie.
Tom schlug die Augen auf, aber Holly lief es eiskalt den Rücken herunter, als sein Blick wieder durch sie hindurchging.
»Es tut weh, Holly, es tut so unendlich weh. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, wird mir bewusst, dass ich dich nie mehr sehen werde, und mein Herz krampft sich zusammen. Ich kann es einfach nicht glauben, dass du tot bist, nein, ich kann es nicht. Es ging dir doch gut, du warst schwanger, ja, aber du warst doch gesund. Von einer Minute auf die andere warst du nicht mehr da. Ich vermisse dich wahnsinnig, es tut so weh.«
Tom schwieg und schüttelte den Kopf, als versuchte er einen klaren Gedanken zu fassen. »Mum sagt dauernd, ich soll loslassen, soll nicht gegen die Tränen ankämpfen, aber ich kann das nicht. Ich habe solche Angst, Holly, wenn ich
einmal anfange zu weinen, kann ich nicht mehr aufhören, das weiß ich.« Tom schnappte nach Luft, als würde er an seinen unterdrückten Tränen ersticken.
Libby wand sich in seinem Arm, und Tom zog ihr die halb geleerte Flasche aus dem Mund. Seine Miene hellte sich ein wenig auf, als er seine Tochter betrachtete und sie anlächelte, bevor er sie an die Schulter legte und ihr auf den Rücken klopfte. Das aufgesetzte Lächeln verschwand, und sein Blick war wieder voller Trauer. »Ich war nicht darauf gefasst, Holly, dass du mich verlässt. Ich kann es nicht glauben, dass du nie wieder das Zimmer betrittst. Deine Sachen sind alle noch hier, so wie du sie hinterlassen hast, sie warten auf dich. Komm wieder nach Hause, Holly, bitte komm wieder.«
Tom entfuhr ein Seufzer, aber er biss sich auf die Lippen, um Haltung zu bewahren. »Ich kann nicht mehr, ich halte den Schmerz nicht länger aus. Ein Leben ohne dich – das ertrage ich nur um Libbys willen.«
Libby antwortete mit einem vernehmlichen Bäuerchen, und Tom musste lächeln. Er nahm sie wieder in den Arm und gab ihr die Flasche.
»Danke für den Vertrauensbeweis, Libby«, flüsterte er. Holly wurde warm ums Herz, als sie sah, wie zärtlich er mit seiner Tochter umging, und ihre lähmende Starre löste sich. »Ich liebe dich von ganzem Herzen, und deine Mami liebt dich auch und beschützt dich.«
Holly konnte der Versuchung nicht widerstehen, Libbys Kopf zu streicheln. Als sie sich vorbeugte, spürte sie Toms warmen Atem auf ihrem Gesicht und zitterte plötzlich. Sie wusste, dass es wirklicher war als alle ihre Träume.
»Versprich mir, dass du mich nie verlassen wirst«, flüsterte Tom.
»Ich verspreche es.« Holly hoffte, dass Tom sie hörte, aber er reagierte nicht.
Mutlos ließ sie ihren Kopf auf Toms Schoß sinken und schloss die Augen. »Das ist alles nicht wahr, Tom, das ist nicht die Wirklichkeit. Alles wird wieder gut.«
Stille erfüllte den Raum, die Zeit verrann. Holly rührte sich nicht, bis das Baby die Flasche ausgetrunken hatte. Als Tom eine Bewegung machte, um aufzustehen, machte sie nur ungern Platz. Sie stand jetzt unmittelbar vor ihm. Er legte das Baby an die Schulter und griff nach der Babyschale.
»Jetzt aber ab ins Bett«, sagte er mit gespielter Munterkeit.
Als er sich zur Tür wandte, legte ihm Holly eine Hand auf die Schulter, um ihn aufzuhalten. »Bleib bei mir«, flehte sie ängstlich. Tom zögerte einen Augenblick. »Bleib bei mir«, flüsterte er, doch dann verließ er das Zimmer.
Holly, die vor Angst wie versteinert war, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Ihre Atemzüge wurden immer hektischer, ihr wurde schwindelig, und sie war nahe daran zu hyperventilieren. Sie hörte Toms Schritte auf der Treppe, dann das Knirschen der Dielenboden über ihrem Kopf. Und zum zweiten Mal in dieser Nacht verkrampfte sich beim Schreien eines Babys ihr Herz.
Hollys einziger Gedanke war die Flucht. Sie brauchte dringend frische Luft. Taumelnd fand sie den Weg durch die Küche, drückte zitternd die Klinke hinunter und stürzte schließlich hinaus in den Garten. Es war immer
noch kalt, viel zu kalt für Ende April, der Wind peitschte ihr ins Gesicht.
Gehetzt sah sie sich im Garten um, ob im Schatten nicht noch mehr Dämonen lauerten, die sie um den letzten Rest ihres Verstandes bringen wollten. Und wie zur Bestätigung wurde ihr Blick magisch vom Obstgarten angezogen. An den Bäumen, die eigentlich kurz vor der Blüte stehen sollten, hingen noch ein paar einsame,
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