Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
der Burg und öffnete dann die Tore für seine Freunde. Die Gefolgsleute des Mannes ergaben sich sofort, und Richard Löwenherz gratulierte lachend.
Florís und seine Leute teilten sich das Geld, mit dem die Ritter ihre Pferde und Rüstungen auslösten. Der junge Ritter konnte sich damit endlich wieder ein eigenes Zelt und angemessene Kleidung leisten. Besonders Letzteres erwies sich in den nächsten Tagen als gute Investition, machte Florís doch endlich die Bekanntschaft der legendären Eleonore von Aquitanien. Die alte Königin war ihrem Sohn in seine wiedereroberten Besitztümer gefolgt, und König Richard stellte Florís und seine Männer zu ihrer Eskorte ab. Die jungen Ritter qualifizierte dazu nicht nur ihre Schlagkraft - der König wusste nur zu gut um die Freude seiner Mutter am Anblick schöner, schneidiger Männer in glänzenden Rüstungen. Eleonore zeigte sich denn auch äußerst huldsam und freundlich und lächelte, als Florís ihr in geschliffener Sprache Komplimente machte.
»Es stellt zweifellos besondere Ansprüche an einen Ritter, den Minnedienst an einer alten Frau wie mir zu leisten«, kokettierte sie, aber Florís konnte ganz ehrlich versichern, dass es ihm keineswegs schwerfiel.
Eleonore von Aquitanien war selbst noch in ihrem achten Lebensjahrzehnt und nach der Geburt von zehn Kindern eine schöne Frau. Ihre Klugheit und Lebendigkeit glichen die äußerlichen Anzeichen des Alters aus, ihre Augen strahlten heute sicher kaum weniger als in ihrer Jugend. Die Königin war nach wie vor eine gute Reiterin, sie erreichte die provisorische Residenz ihres Sohnes bei Evreux ohne Aufenthalt.
Sobald sie sich eingerichtet hatte, begann Eleonore von Aquitanien, nach allen Regeln der Kunst Hof zu halten. Sehr bald fanden sich die ersten Minnesänger und Troubadoure, bei Nacht war das Zeltlager des Königs erfüllt von Musik und Gelächter, und Florís trug sein neues Festgewand.
Der andere junge Ritter, der mit einem Häuflein resignierter Mitstreiter in den ersten Julitagen das Heer erreichte, hatte allerdings keinen Sinn für Zerstreuungen. Charles de Sainte-Menehould war müde und demoralisiert, die älteren Ritter seines Vaters hatten ihm nach dem gescheiterten Befreiungsversuch für Gerlin gehörig den Kopf gewaschen. Natürlich hatten sie auch vorher schon dagegen plädiert, aber da wurde Charles noch von seinen jüngeren Freunden unterstützt. Nun, da zwei von ihnen verwundet und nur mit unerhörtem Glück der Gefangennahme entkommen waren, sah die Sache anders aus.
»Es hätte sehr leicht Tote geben können!«, hatte einer der Ritter seines Vaters Charles vorgehalten. »Und fast noch schlimmer: Es hätte jemand lebend in die Hände der Franzosen fallen können! Dann wäre Eure Frau Lindis der Mitwisserschaft angeklagt worden - wenn sie das mal noch nicht ist, Philipps Getreue können doch auch zwei und zwei zusammenzählen! Jedenfalls wäre sie all ihrer Freiheiten verlustig gegangen und läge jetzt vielleicht in einem dunklen Verlies! Wobei es mir ein Rätsel ist, weshalb Ihr sie überhaupt so dringend befreien wolltet. Der Frau und dem Kind geht es doch gut, der englische König wird sie zweifellos irgendwann auslösen. Euer Heldenmut war gänzlich fehlgeleitet, Herr Charles, seid froh, dass Gott ein Einsehen mit Eurer jugendlichen Dummheit hatte und heute keine Toten zu beklagen sind!«
Charles hatte die Sache jedenfalls letztlich eingesehen und sich auf eine neue Strategie besonnen. König Richard musste seine Geliebte und seinen Sohn selbst befreien! Der junge Ritter konnte es kaum abwarten, im Heerlager der Engländer anzukommen, um den König von Gerlins Gefangennahme in Kenntnis zu setzen. Er war so schnell geritten, wie es mit den Verletzten in seinem Gefolge gerade möglich war. Nur auf Drängen seiner älteren Ratgeber nahm er sich dann noch die Zeit, sich ein wenig zu erfrischen und zu reinigen. Gleich darauf begehrte er Einlass im Zelt Richard Plantagenets.
Richard Löwenherz verfügte über eine im Allgemeinen ausgeglichene Persönlichkeit, aber an diesem Abend war seine Stimmung eher schlecht. Der König hatte eben vom Tod Sancho VI., des Königs von Navarra, gehört und sorgte sich nun um die Konsequenzen. Sein schöner Plan, sein Heer irgendwo bei Vendôme mit dessen Sohn Sancho zu vereinigen und den französischen König dann schnell und vernichtend zu schlagen, war in Gefahr. Höchstwahrscheinlich würde Sancho VII. sofort abziehen und sich den Teufel darum scheren, was aus
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