Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
der Feste von Loches wurde, mit deren Belagerung er gerade begonnen hatte. Nun sah der König natürlich ein, dass der navarresische Thronfolger sein Erbe antreten musste, aber Sancho galt allgemein als etwas unüberlegt. Richard selbst hätte die Belagerung auf jeden Fall fortgeführt, bis das Heer seines Verbündeten dort eintraf, aber das war von dem heißblütigen Prinzen kaum zu erwarten. Richard musste also schnell sein - er würde gleich am kommenden Tag seine Armee gen Loches in Marsch setzen. Wozu zunächst ein halber Hofstaat aufzulösen war ...
Der König lauschte unwillig in die Nacht und vernahm die Darbietung des nächsten Troubadours im Zelt seiner Mutter. Er hörte eigentlich gern Musik, aber an diesem Abend störte ihn jede Kleinigkeit. Die Meldung seines Marschalls, ein junger, eben eingetroffener Ritter begehre ihn dringend zu sprechen, verbesserte seine Laune auch nicht gerade.
»Der Mann soll sich irgendwo beköstigen lassen, sein Zelt aufbauen und morgen wiederkommen«, beschied er den Marschall und bediente sich noch einmal von dem Krug edelsten Weines, den seine Mutter geschickt hatte. Eleonore von Aquitanien hatte einen sechsten Sinn für die Stimmungen ihres Sohnes - der erfahrenen Politikerin war die Bedeutung des Todesfalls in Navarra klar.
»Auf Euch, Sancho Jiménez!«, murmelte der König vor sich hin und leerte seinen Becher auf den Verstorbenen. Sancho der Weise hatte Navarra lange regiert und war in Volk und Adel hochgeschätzt gewesen. Richard wäre im Gedenken an den Vater seiner Frau Berengaria fast entgangen, dass der Marschall schon wieder eingetreten war.
»Verzeiht, Sire, aber der Ritter lässt sich nicht abweisen. Es wäre absolut notwendig, heute noch mit Euch zu sprechen, schon um der Hohen Minne willen.«
»Um was?«, fragte Richard und verdrehte die Augen. »Ihr seid sicher, dass er nicht mit meiner Mutter reden will?«
Der Marschall lächelte. »Ich bin sicher, und ich fürchte, uns allen steht eine unruhige Nacht bevor, falls Ihr ihn nicht anhört. Der Mann wirkt heilig entschlossen. Weiß der Himmel, was ihn umtreibt. Er ist übrigens Franzose: Charles de Sainte-Menehould.«
Der König seufzte. »Also schön, dann lasst ihn rein. Vielleicht heitert er mich ja ein wenig auf ...«
Charles de Sainte-Menehould wusste zumindest, wie man sich an einem Königshof beträgt. Er kniete vor dem König nieder, begrüßte ihn voller Ehrfurcht und kam dann erst zur Sache, wobei er sich um Diskretion bemühte. Schließlich war er nicht allein mit dem König. Auch der neugierig gewordene Marschall und zwei weitere engere Vertraute Richards drängten sich in seinen Privatgemächern. Die Leibgarde. Schließlich konnte es sich bei dem französischen Ritter um einen Meuchelmörder handeln.
Charles drückte sich also vorsichtig aus, wobei der König seine Anspielungen nicht gleich zu verstehen schien.
»Was soll das heißen, der Feind hat etwas, was mir überaus kostbar sein muss?«, fragte Richard ungeduldig.
Der junge Ritter schaute wachsam um sich und wandte sich dann mit leiser Stimme direkt an den König. »Es ist eine etwas ... hm ... delikate Angelegenheit ...«
Richard runzelte die Stirn. »Nun sprecht nicht in Rätseln, Herr Charles! Es ist spät, und ich habe anderes zu tun, als Euren Andeutungen zu lauschen. Wenn Ihr etwas zu sagen habt, sagt es! Und ich hoffe, die Kunde ist die Zeit wert, die ich hier mit Euch verschwende. Es gibt noch viel zu tun. Navarra fällt ab, und dieser französische Hund hält meine Burgen besetzt, belagert meine Städte und zerstört meine Dörfer!«
Charles de Sainte-Menehould verbeugte sich und holte noch einmal tief Luft. »Majestät, er tut mehr als das! Er hält Euren Sohn gefangen und seine Mutter!«
Florís de Trillon war erst wenige Stunden zuvor von einem Einsatz zurückgekommen - und hatte dem König die Kunde vom Tod Sanchos des Weisen gebracht. Nun ließ er es sich im Kreise seiner Ritter wohl sein, freute sich an den Bonmots der Herrin Aliénor und den Darbietungen der Sänger. Er hätte nie damit gerechnet, in dieser Nacht noch zum König gerufen zu werden, aber natürlich leistete er dem Befehl sofort Folge.
Richard Löwenherz empfing seinen Ritter allein in seinem prunkvollen Zelt. Er saß in einem Sessel am Feuer und schien angestrengt über etwas nachzudenken.
»Sire ...« Florís legte die Hand auf sein Herz und verbeugte sich.
Der König schenkte ihm ein halbes Lächeln. »Herr Florís. Ich danke Euch für Euer
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