Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
nicht, mit Miri ist doch alles viel leichter. Sie gilt als Magd - wer schert sich also um ihre Schändung? Wohingegen der Raub einer Adligen eine ernste Sache ist. Nun wär's dem Herrn Roland wahrscheinlich egal, ob er dich kompromittierte, im Gegenteil, der hätte dich nur zu gern als Ehefrau, und wenn er dich schon im Bett gehabt hätte, wäre das leichter durchzusetzen. Aber ein anderer Ritter? Eine mehrtägige Reise mit irgendeinem gedungenen Kerl ... Womöglich würde der hinterher die Hand auf die Witwe des Lauensteiners legen, und Roland hätte das Nachsehen. Aber so verläuft es ganz in seinem Sinne: Er kriegt das Kind, und du rennst ihm anschließend die Burg ein, um Dietmar wiederzusehen.«
Gerlin biss sich auf die Lippen. »Wenn es nicht anders geht ... Bevor ich Dietmar aufgebe ...«
Rüdiger wollte etwas sagen, aber Abram brachte ihn mit einem tadelnden Blick und einem kaum merklichen Kopfschütteln zum Schweigen. »Und ich gebe Miriam nicht auf!«, erklärte der junge Jude und sah Gerlin dabei fest in die Augen. »Wir finden beide, meine Liebste und deinen Sohn. Bestimmt. Und lange bevor sie Lauenstein erreichen.«
Gerlin nickte, fast etwas getröstet. »Aber dann kann ich ebenso gut mitreiten«, sagte sie dann trotzig.
Abram seufzte und gab seinen Widerstand auf. »Euer Wunsch, Herrin Gerlin, sei uns Befehl ...«
Fréteval war ein kleiner Ort - nur von ein paar Handwerkern und Kaufleuten bewohnt, die sich rund um die Burg angesiedelt hatten, um die Besatzung mit den nötigen Waren und Dienstleistungen zu versorgen. Im Moment beherbergte die Festung allerdings auch die Bewohner des zugehörigen Bauerndorfes. Sie hatten sich in die Mauern der Burg geflüchtet, als sie das Heer des französischen Königs kommen hörten. Nun zogen sie gerade mit Kind und Kegel, Kleinvieh und Geflügel wieder aus und verstärkten das Durcheinander auf den ohnehin sehr engen Gassen.
Rüdiger und Abram hatten zunächst gefürchtet, gar nicht mehr eingelassen zu werden, schließlich war die Sonne längst untergegangen. Die weinseligen Stadtwächter schienen jedoch entschlossen, die Tore die ganze Nacht offen zu halten. Allerdings war in den Straßen kaum ein Durchkommen. Rüdiger und Abram mussten ihre Streithengste hart am Zügel halten, damit die nervösen Tiere im Gedränge nicht um sich traten. Sirene trug Gerlin dagegen ruhig und gelassen wie immer durch die drängelnden Massen. Hansi spähte mit scharfen Augen in die Menschenmenge.
»Hier auf den Straßen ist er nicht«, schloss er endlich. »Viel zu gefährlich, in dem Getümmel läuft ihm das Mädchen schneller weg, als er gucken kann.«
Gerlin verließ der Mut. »Sind sie also doch weitergeritten?«, fragte sie. »Er kann irgendwo im Wald sein, er kann ...«
»Wir sollten fragen, ob hier irgendwo eine Herberge ist«, meinte Rüdiger. »Und wir sollten uns etwas zu essen besorgen. Bei Gott, mir knurrt der Magen!«
Gerlin sah ihren Bruder vorwurfsvoll an. Wie konnte er jetzt an Essen denken? Ihr selbst bereiteten all die Bratendüfte um sie herum nur Übelkeit, und die Feuer schienen die Luft dieses Sommerabends nur noch mehr aufzuheizen. Allerdings war auch ein Gewitter im Anzug, über dem Wald entluden sich schon die ersten Blitze. Nun ging es obendrein überhaupt nicht weiter. Irgendwo vor ihnen staute sich die Menge, wahrscheinlich war ein Wagen umgefallen oder ein Pferd ausgeglitten. Jedenfalls fanden sich Gerlin und die Männer eingekeilt in der Menschenmasse. Die Leute fluchten und schimpften, weil es nicht vorwärtsging. Gerlin schwankte im Sattel, sie war am Ende ihrer Kräfte.
»Wir bleiben jetzt in dieser Schenke, bis sich der Aufruhr gelegt hat«, bestimmte Abram kurzerhand.
Er wies auf ein wenig vertrauenerweckendes Etablissement, dessen zechende Gäste zum Teil auf der Straße kampierten, weil es innen zu voll war. Die meisten von ihnen schäkerten mit Mädchen ... Gerlin wollte dort nicht hinein. Aber Abram und Hansi waren bereits abgestiegen und banden ihre Pferde an die Hauswand. Abram machte Anstalten, Gerlin aus dem Sattel zu helfen.
Nur Rüdiger schien noch mit sich zu ringen. »Das ... das ist doch ein Hurenhaus«, murmelte er schamerfüllt.
»Aber immerhin ein Haus«, bemerkte Abram. »Wenn wir Glück haben, regnet es nicht durch.«
Inzwischen donnerte es, und vom Himmel fielen die ersten Tropfen. Gerlin ließ sich widerstrebend in die heiße, nach Bier und Schweiß stinkende Gaststube hineinschieben. Eine dralle, junge Hure, die auf
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