Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
dem Schoß eines Freiers saß, grinste die Neuankömmlinge an. Sie war sichtlich betrunken.
»He, noch welche, die sich ihre Weiber mitbringen!«, kicherte sie. »Da wird der Wirt aber schimpfen. Sind wir Mädchen aus Fréteval Euch nicht gut genug, edle Herren?«
Rüdiger runzelte die Stirn und bemühte sich offensichtlich, nicht auf ihr Gerede zu hören. Abram horchte jedoch auf. Und Gerlin wurde eben einer anderen Seltsamkeit gewahr. Inmitten der Schenke befand sich eine offene, gemauerte Feuerstelle, über der gekocht und gebraten werden konnte. Das war nicht ungewöhnlich, viele Wirtshäuser waren ähnlich gestaltet. Aber die ältere Frau, die an diesem Herd mit ernstem Gesicht Milch erhitzte, fiel denn doch auf. Hier wurde schließlich gezecht, nicht gegessen. Es gab nicht einmal einen Koch.
Aufgeregt schob sich Gerlin an die Frau mit dem Topf heran. »Habt Ihr ein Kind hier, Madame?«
Die dralle Hure, die Abram zu den »mitgebrachten Weibern« ausfragte, zierte sich - und schließlich kam auch der Wirt hinzu, was schnell ein Streitgespräch nach sich zog. Natürlich leugnete der Mann, einem Ritter in Begleitung eines Mädchens und eines Kindes Unterschlupf gewährt zu haben, wobei Abram zwecks Überzeugung die Geldbörse zückte, während Rüdiger nach seinem Schwert griff.
Die alte Hübschlerin Claudine redete dagegen bereitwillig. Ungehört von den Männern - sowohl von Gerlins Begleitung als auch vom Hurenwirt - begann sie zu erzählen.
»Irgendwas geht da nicht mit rechten Dingen zu. Das Mädchen sieht nicht aus wie eine Dirne - und selbst wenn sie eine ist, man schleppt bei der Arbeit doch nicht seine Bälger mit rum! Die meisten Männer mögen's nicht, und die anderen, die's auf dumme Gedanken bringt ... ich hätt denen nicht gern mein Kind verkauft!« Claudine prüfte die Milch geschickt auf die richtige Temperatur und füllte sie dann in ein Schüsselchen.
Rüdiger und der Hurenwirt wurden inzwischen laut - der junge Ritter forderte den Mann nachdrücklich auf, ihm zu sagen, wo er die Flüchtigen versteckte.
»Auf dem Heuboden sind sie«, berichtete Claudine freimütig. »Da haben sie's wenigstens warm und trocken. Aber warum fragt Ihr, Herrin ...? Barmherziger Himmel, der Kerl hat die Kleine und das Kind doch nicht etwa entführt? Herrin - ist es womöglich Euer Kind?«
»Sie sind da oben!« Gerlin und Abram riefen es im gleichen Moment. Während Rüdiger noch mit dem Wirt verhandelte, hatte Abram ein wenig gut Wetter bei der jungen Hure gemacht. Nun wies er die Stiege hinauf.
Rüdiger von Falkenberg überlegte nicht lange, bevor er sein Schwert zog und hinaufstürmte.
Kapitel 10
F lorís de Trillon hatte Richard Plantagenet nie so aufgebracht gesehen. Der König war rot vor Wut und ballte immer wieder hilflos die Fäuste, während er die Pergamente durchsah, die Gerlin in König Philipps Archiv gefunden hatte.
»Es ist unfassbar!«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Die gesamte Normandie rechts der Seine ... Rouen, die Touraine ... der verräterische Hund verpfändet die Erblande der Plantagenets! Und unseren guten Namen dazu! Er verspricht dem Franzosen, ihm den Lehnseid für England zu leisten! Wenn sie ihn gegen mich unterstützen!«
»Wer verspricht was?«, fragte die Herrin Aliénor gelassen. Sie hatte bislang mit Florís geplaudert, der seinerseits immer stärkere Unruhe verspürte. Gerlin hätte längst da sein müssen. Was konnte sie aufgehalten haben?
»Mein so genannter Bruder!«, brüllte Richard. »Johann, der so selbstlos mein Land für mich verwaltet hat, solange ich auf Trifels eingekerkert war! Hast du davon gewusst, Mutter?«
Er hielt seiner Mutter einen Brief hin, den sie kurz überflog. Florís kannte das Schriftstück. Johann Plantagenet versprach darin dem König von Frankreich in warmen Worten ewige Treue - wenn er ihm nur half, ihm seinen Bruder Richard vom Halse zu schaffen. Zu den von Gerlin gesichteten Dokumenten gehörte darüber hinaus ein von Johann unterschriebener Geheimvertrag: Sollte Philipp II. dem jüngeren Plantagenet auf Dauer auf den Thron Englands helfen, so würde er ihm dafür wichtige Landstriche auf dem Festland überlassen.
Eleonore wirkte nicht überrascht. »Ich habe ihm nie getraut«, sagte sie kurz. »Aber wenn ich das gewusst hätte ... Es ist infam, Richard, ich stimme dir zu! Johann wollte die Krone, das war mir schon klar. Aber dass er dafür bereit war, sein Land und seine Familie zu verraten ...«
»Vor allem seinen
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