Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Bruder!«, stieß Richard hervor. »Was hat er sich wohl vorgestellt? Dass ich in Trifels verrotte? Oder umkomme - bei einem bedauernswerten ›Unfall‹?«
Eleonore zuckte die Schultern. »Vielleicht hätte er Krieg geführt«, murmelte sie eine halbherzige Entschuldigung für ihren jüngsten Sohn.
Richard hätte es nicht gerade begrüßt, aber er hätte seinen Bruder auch nicht völlig verdammt, wenn Johann ihm mit einem Heer entgegengezogen wäre. Auch ihm war Ehrgeiz schließlich nicht fremd, Machtkämpfe unter den Plantagenets hatten eine gewisse Tradition. Eine Flucht unter die Fittiche des französischen Königs jedoch ...
»Dafür ist er viel zu feige!«, fasste Richard seine Einschätzung des Charakters von Johann Ohneland kurz zusammen. »Die Kriege sollten andere für ihn führen. Was machen wir nur mit ihm, Mutter?« Der König atmete tief aus und ein, er versuchte sichtlich, sich zu beruhigen. Florís beschloss, dass er jetzt für sein Anliegen ansprechbar sein musste.
»Sire ... verzeiht, dass ich mir anmaße, unaufgefordert das Wort zu ergreifen. Aber ich ... ich bin äußerst besorgt. Ich denke, Ihr wart abgelenkt, aber ich hoffte weiterhin auf das Erscheinen der Herrin Gerlin. Und so langsam glaube ich, dass da etwas passiert ist. Frau Gerlin hätte sich Eurem Befehl normalerweise nie widersetzt, sie wünschte ja selbst, Euch zu sehen. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, Euch diese Dokumente persönlich zu überreichen. Wenn sie nun nicht gekommen ist ... ich würde gern nach ihr suchen, Majestät.«
Richard Plantagenet nickte, nach wie vor in Gedanken. »Selbstverständlich, Herr Florís. Ihr seid entschuldigt, kümmert Euch um die Dame. Und wenn Ihr sie findet, vermittelt ihr meinen Dank für die Sicherstellung dieser Briefe - und verpflichtet sie zum Stillschweigen! Letzteres gilt auch für Euch, es muss nicht gleich das ganze Heer wissen, dass mein Bruder Johann ein ... ein verräterischer Hund ist!« In Richards sonst eher freundlichen Augen loderte der Zorn.
Florís verneigte sich vor dem König und seiner Mutter, was Richard kaum zur Kenntnis nahm.
»Wir sehen Euch und die Dame dann morgen«, sagte die Herrin Aliénor.
Miriam versuchte, an die Sterne zu denken. Sie konnte den Himmel nicht sehen, aber er musste da sein, über der Dachluke, auf die zuvor noch der Regen geprasselt hatte, als wollte Gott die Welt wegspülen. Miriam wäre das recht gewesen, aber der Regen hatte nachgelassen. Sie durfte sich jetzt nicht ihrem Ekel und ihrer Angst ergeben, nicht an den Mann denken, der sich eben mit einem Grunzen über sie warf. Wenn sie es nicht schaffte, sich in den Sternenhimmel hineinzuträumen, würde sie sterben ...
Der Ritter küsste sie ungestüm, schob seine Zunge zwischen ihre Zähne, als gelte es, feindliche Burgmauern zu überwinden. Sein Geschlecht presste sich gegen ihre Schenkel - aber sie trug noch ihr Kleid, er hatte ihr keine Zeit gelassen, es hochzuziehen. Die Hand des Mannes tastete nun nach dem Saum ... Hoffentlich zerriss er es nicht, Miriam durfte gar nicht daran denken, am kommenden Morgen in Lumpen durch dieses Hurenhaus gehen zu müssen. Jeder würde ihre Schande sehen, aber es wusste ja sowieso jeder, was hier vorging. Sie war verdammt, die Reinigung in der Mikwe hatte nichts bewirkt ... Salomon war umsonst gestorben ... nein, nicht daran denken, nicht weinen, nicht schreien, die Sterne ...
Das Mädchen schloss die Augen, presste sie zusammen, um den Mann so weit als möglich auszusperren. Sie versuchte, den Himmel heraufzubeschwören. Ihren Stern ...
Plötzlich hörte sie Schritte auf der Treppe zum Heuboden. Schnelle, harte Schritte, keine langsamen, vorsichtigen Bewegungen ob der steilen Stiege. Dies klang nicht wie der Hurenwirt oder seine Mädchen. Wer hier heraufkam, lief entschlossen und eilig, und er trug auch keine leichten Lederschuhe, sondern schwere Stiefel. Der Ritter schien dies auch zu bemerken. Er ließ von Miriam ab und richtete sich alarmiert auf.
Der Ankömmling trat gegen die Eingangstür. »Gebt sofort das Kind heraus!«, schrie er.
Rüdiger war mit gezücktem Schwert die Stiege hinaufgestürzt, aber Abram unterdrückte den Impuls, ihm auf dem Fuße zu folgen. Auf der schmalen Treppe würden sich die Angreifer nur gegenseitig im Wege stehen - wie es überhaupt Wahnsinn war, sich hier zum Kampf zu stellen! Die Treppe war kaum mehr als eine Leiter, sie bot eigentlich keinen Halt. Dazu war es dunkel, oben auf dem Heuboden gab es wahrscheinlich
Weitere Kostenlose Bücher