Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
allerdings sichtlich angeschlagen. Sein Schwert lag an einer gänzlich anderen Stelle des dunklen Korridors, er war noch nicht mal so weit, danach zu tasten. Eine Frau bemühte sich um ihn ...
Odemar grinste, als er Gerlin von Lauenstein erkannte. »Frau Gerlin! Da treffen wir uns ja doch noch persönlich ...«
Gerlin stellte sich ihm hasserfüllt entgegen. Ohne einen Augenblick nachzudenken, zückte sie das kleine Messer, das sie stets am Gürtel trug. Odemar lachte. Die junge Frau und ihr Messerchen machten ihm keine Angst. Mit einer schnellen Bewegung griff er nach ihr, entwand ihr mit der linken Hand das Messer und schlang die rechte um ihre Taille. Er hielt sie wie einen Schild vor sich, das kleine Messer auf ihr Herz gerichtet.
»Keine Bewegung, Herr Rüdiger!«, schleuderte er dem Ritter entgegen, der eben nach seinem Schwert griff. »Auch wenn Ihr Eure Waffe tatsächlich endlich gefunden habt. Und desgleichen der Kerl auf dem Heuboden! Kommt mir nicht zu nahe, sonst ...«
Rüdiger erstarrte wie Miriam zuvor - aber hinter dem Ritter regte sich etwas. Ein Messer blitzte auf, jemand hängte sich an ihn und zerrte seinen Kopf nach hinten - und im selben Moment verwandelte sich Odemar von Steinbachs Drohung in ein Röcheln. Ein blutiger Schnitt lief wie ein Halsband quer über seine Kehle, klaffend wie ein zum Schreien geöffneter zweiter Mund. Messer und Schwert entfielen seinen Händen.
»Das war für meinen Bruder, du Mistkerl!« Hansis kleine Gestalt ragte hinter dem bärenhaften Ritter auf, als Odemar sterbend zu Boden sank. »Weißt noch? Der Küchenjunge, den du auf Lauenstein gehenkt hast?«
Odemars Körper zuckte, seine Hände schienen in Richtung seiner Kehle wandern zu wollen, aber ihm fehlte die Kraft.
»Jetzt weißt du, wie sich das anfühlt!«, stieß Hansi mitleidlos aus und blickte wütend in die brechenden Augen des Ritters.
Odemar starb schnell, der Wegelagerer Kurt musste seine Söhne gelehrt haben, wie man sein Opfer rasch erledigte. Hansi wischte sein Messer sorglich und kaltblütig an der Tunika des Ritters ab, dann aber lachte er Gerlin jungenhaft zu.
»Alles in Ordnung, Herrin?«
Gerlin nickte, immer noch sprachlos ob der plötzlichen Befreiung. Hansi erinnerte sich dagegen wieder an seine Würde als Knappe und wandte sich etwas verlegen an Rüdiger. »Das war jetzt natürlich nicht ritterlich«, entschuldigte er sich. »Aber ich konnt nicht anders. Mit dem Schwert hätt ich den nie erledigt.« Er maß Odemars riesige Gestalt mit einem Blick. »Weil ... er war schon etwas schwerer als ich, und das gibt dann keinen ausgeglichenen Kampf ...«
Gerlin konnte nicht anders. Wenn sie an einen ausgeglichenen Kampf zwischen dem kleinen Hansi und dem gewaltigen Odemar dachte, musste sie hysterisch lachen. »Hansi«, stieß sie hervor, als sie sich endlich wieder beherrschen konnte. »Hansi, falls dir am Urteil deiner Minneherrin über dein Tun gelegen ist: Vielleicht war's nicht ritterlich, aber gerecht war's allemal!«
Kapitel 11
E s dauerte einige Zeit, bis die Lauensteiner die zitternde Miriam mit Dietmar in einer Ecke des schmutzigen Hofes gefunden hatten, und es war dann auch nicht einfach, alle auf die Pferde zu verteilen. Gerlin ritt schließlich mit Dietmar auf Sirene - sie war nicht bereit, das Kind noch einmal aus ihren Armen zu lassen -, und Abram nahm Miriam wieder vor sich auf den geliehenen Streithengst. Sie schmiegte sich vertrauensvoll an ihn - wie damals, als er sie aus den Händen der Wegelagerer gerettet hatte.
»Ob das jetzt so weitergeht?«, sinnierte sie schläfrig. »Wirst du mich immer wieder zurückholen, wenn mich einer stiehlt?«
Abram lachte und zog sie fester an sich, obwohl seine Wunden wieder schmerzten. »Sooft es sein muss«, beschied er sie. »Aber ich hoffe, du wirst etwas seltener entführt, wenn wir erst wieder in Kronach sind - oder sonst irgendwo, in einem sicheren Haus in einem hübschen Judenviertel. Wobei Judenviertel ja nun auch nicht allzu sicher sind ... Vielleicht sollten wir uns das mit den deutschen Landen noch mal überlegen. Was hältst du zum Beispiel von Al Andalus? Steuerzahlende Juden sollen da gern gesehen sein; die Sternkunde befindet sich auf höchstem Niveau ... und zweifellos ist das Land voller christlicher Märtyrer. Reliquienhandel läuft überall ...«
Rüdiger enthielt sich jeglicher Wertung für die Handlungen seines Knappen. Schließlich mochte er sich nicht auch noch vorhalten lassen, dass gleiche Chancen beim
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